von Thomas Longin (thlongg@yahoo.com)
(Stand 2000 - 6/2003)
Überblick:
Das Rad-El-Dorado schlechthin: Freiheit, Abenteuer und sportliche
Herausforderung; auch übervoll mit Kultur. Dabei ein überraschend
unproblematisches Reiseland. Und auf der Weltrangliste der Gastlichkeit liegen
die Türken sowieso ganz vorn. Topografie und Klima der einzelnen Landesteile
sollte man sich vor einer Tour aber sehr genau angucken.
Papierkram:
Kein Visum für Aufenthalt bis 3 Monate; bei Einreise aus Europa genügt sogar
der Personalausweis.
Einreise:
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per billigem Charterflug (z.B. www.condor.de
) zu den südwestlichen Badeorten (vor allem Antalya)
·
per Schiff: von Italien (Turkish
Maritime Lines: Venedig - Izmir ganzjährig; Brindisi - Cesme saisonal); von
Griechenland nur saisonal von einigen Inseln, teuer (um 50 Euro) (Miniotis
Lines: Chios - Cesme, www.miniotis.gr; Samos Hydrofoils: Samos - Kusadasi;
Highspeed Cruises: Rhodos - Marmaris; Marmaris Shipping: Rhodos - Marmaris; früher
auch Fähre von Lesbos)
·
über Land: von Griechenland
bequem Kipi - Ipsala (bei Alexandroupoli) und bei Edirne; mindestens 2 Übergänge
von Bulgarien, weiter jeweils über Istanbul (Route entlang des Marmara-Meers
extrem befahren) oder Gelibolu-Halbinsel (Fähre z.B. nach Canakkale); von
Syrien schnell und einfach Azaz - Kilis, auch weitere (z.B. Qamishli - Nusaybin),
nicht aber Übergang am Euphrat; ggf. von Irak: Zaho - Silopi; von Iran: Gürbulak
- Bazargan (bei Dogubeyazit; Hauptübergang), reizvoll und einfach auch Sero -
Esendere (östlich Hakkari); von Georgien Hauptübergang am Meer, auch möglich:
Vale - Posof in den Bergen (jeweils Abzockversuche der Georgier; Türkei bei
Ausreise evtl. 3 USD Gebühr gegen Quittung), kein Übergang bei Cildir; Grenze
mit Armenien mittelfristig geschlossen; theoretisch Übergang von/ nach
Nahicevan möglich (mit aserbeidschanischem Visum)
Währung:
Türkische Lira, frei konvertierbar (alle Währungen), zeitweise sehr hohe
Inflation, überall Geldautomaten, Reiseschecks möglich, Dollarkauf für
Weiterreise bei grösseren Banken leicht möglich.
Geografie:
Zwei Hochgebirgsketten streichen in West-Ost-Richtung: im Norden das pontische
Gebirge mit mehreren
küstenparallelen Zügen (Hochgebirgscharakter erst in Osthälfte), im Süden
der Taurus als Fortsetzung der
südosteuropäischen Karstgebirge (Dinariden). Beide treffen sich etwa zwischen
Sivas und Erzincan (bei der Quelle des Kizilirmak). Westlich liegt
Zentralanatolien (durchschnittliche Höhe um 1000 m) mit seinen "intramontanen
Beckenlandschaften": flache, versteppte Becken sehr unterschiedlicher Grösse,
meist mit einem See im Zentrum (z.B. südwestanatolische "Seenplatte")
und durch eher niedrige Schwellen getrennt. Die (wenigen) Flüsse mäandern im
Oberlauf stark und verlieren erst im Mittellauf an Höhe, wenn sie die
Randgebirge durchbrechen (sehr reizvoll, aber nicht immer von Strassen
begleitet). Nach West anschliessend stossen die bereits deutlich mediterranen
Bergzüge Westanatoliens zur Ägäis.
Ostanatolien (durchschnittliche Höhe 1500-2000 m) ist eher kleinräumig und unübersichtlich
gegliedert. Bedeutende Flüsse entspringen hier (Euphrat und Dicle mit
landschaftsprägenden Stauseen, ausserdem Kur und Aras). Zur Türkei gehört
auch das oberste Mesopotamien, z.T. noch stark hügelig, etwa südlich einer
Linie Gaziantep - Diyarbakir - Cizre (Höhenlage 700-400 m).
Es lohnt sich noch mehr als anderswo, die topografischen Details der einzelnen
Landesteile vor und während der Reise genau zu studieren.
Nennenswerten Wald gibt
es praktisch nur in den Randgebirgen. In den Steppen Zentral- und vor allem
Ostanatoliens findet man nur selten Bäume als Sichtschutz beim Zelten.
Klima, Winde:
Entsprechend ihren äusserst vielgestaltigen Naturräumen weist die Türkei natürlich
keinesfalls einheitliches Klima auf. Insgesamt ist sie viel eher Sommer- als
Winterreiseland, am besten natürlich im
späten Frühjahr oder im Herbst.
Obwohl die Türkei zum grossen Teil von Meer umgeben ist, kann regelrechtes,
mildes Meeresklima nur von der Ägäis her ein gutes Stück ins Land eindringen.
Maritime Einflüsse von Schwarzem Meer und südlichen
Mittelmeer treten dagegen schon bald hinter den ersten Bergketten gegenüber
kontinentalen Klimakomponenten mit ausgeprägten Jahreszeiten und
Temperaturunterschieden zurück. Vor allem im Osten sind die Winter heftig und
dauern lange.
Ganzjährig ziemlich gleichmässig beregnet wird die Schwarzmeerküste (im Osten
im Sommer sehr schwül, beinahe monsunal). Bemerkenswert sind auch die
erheblichen Sommerniederschläge im nordöstlichen Binnenland (nördlich des
Van-Sees, vor allem nördlich einer Linie Erzincan - Erzurum - Kars).
Ansonsten konzentrieren sich die Niederschläge auf den späten Herbst und das
Frühjahr (wobei die
Gesamtregenmenge mit der durchschnittlichen Höhenlage nach Oost zunimmt). In
Kappadokien etwa muss man bis weit in den April mit richtig schlechtem Wetter
rechnen. Klassische Winterregengebiete sind dagegen die westlichen und südlichen
Küsten (einschliesslich der Randgebirge) und Mesopotamien.
In allen Klimazonen gibt es je nach Exposition (Luv/ Lee) erhebliche regionale
Unterschiede.
Zumindest in der wärmeren Jahreszeit weht der Wind anscheinend vorwiegend aus
Nordwest (nur weit im Osten und in Mesopotamien auch aus Ost), kann in flachen
Steppen oder breiten Tälern durchaus stören.
Gesundheit:
Geringes Malariarisiko angeblich von März bis November in der Cukurova
(Flachland um Adana) und in
Mesopotamien. Giardiasis und ähnliche unerwünschte Darmbewohner sind recht
verbreitet. Apothekenausstattung überall gut.
Bevölkerung:
Erhebliches Wohlstandsgefälle von West und Süd nach Ost und Nord, Industrie
hauptsächlich um Marmarameer, Izmir, Adana, Ankara; sehr viel Kleinhandel und
Kleingewerbe; ansonsten weitgehend Agrarland, meist sehr extensiv und mit
einfachen Mitteln. Religion fast nur Islam.
Sprachen:
Sprache Türkisch, nicht indoeuropäisch, agglutinierend (Wortstamm + viele
Suffixe), sehr ungewohnt aber relativ leicht zu lernen und sprechen, im ganzen
Land ziemlich einheitlich (gelegentlich, nicht nur im Osten, auch Kirmanci
(Kurdisch), indoeuropäisch, ähnlich Persisch). Gewisse Kenntnisse unbedingt nötig,
da Fremdsprachen nur an touristischen Orten, gelegentlich trifft man ehemalige
oder urlaubende türkische Gastarbeiter aus Westeuropa.
Übernachten:
In allen grösseren Orten billige Hotels (um 2-5 Euro), einfach aber sauber,
keine saisonalen Engpässe. Freies Zelten problemlos, in den Randgebirgen
einfach und sehr idyllisch, im Flachen wenig Sichtschutz (vor allem im Osten).
Campingplätze auf Gratiskarte verzeichnet, aber für Radreisende unzweckmässig
verteilt, am Meer evtl. brauchbar.
Verpflegung:
Lebensmittel überall hervorragend und sehr billig (Spezialitäten: Obst, Gemüse,
Eingelegtes, Süssgebäck usw.), viele Gaststätten jeder Art. Leitungswasser in
Orten i.d.R. problemlos, an der Strasse häufig Quellen (cesme), im Zweifel
entkeimen, stehendes Wasser unbedingt vermeiden.
Gefahren:
Eigentums- und Gewaltkriminalität überall sehr gering, etwas erhöht nur in
Istanbul (und evtl. weiteren
Großstädten). In unmittelbarer Grenznähe vor allem zu Irak, Iran, Armenien,
Georgien wegen Schmuggel etc.
vorsichtig sein. Keine Probleme für Reisende durch korrupte Beamte.
Restriktive Gebiete:
Evtl. Reisebeschränkungen im äusseren Südosten, gesperrte oder zerstörte
Nebenstrassen, nach Ost zunehmend Präsenz von Polizei und Militär (jandarma),
viele Checkpoints.
Rad, Ausrüstung:
Unbedingt stabiles bergtaugliches Rad, Ersatzteile mitbringen, da kaum Qualitätsgeschäfte
vorhanden (siehe www.shimano.com; z.B. www.deltabisiklet.com in Ankara),
brauchbare Bereifung erhältlich.
Strassen:
Asphaltstrassennetz jetzt auch im Osten ausreichend dicht (auch einige auf der
Gratiskarte der Touri-Info als Pisten markierte Strassen sind inzwischen
asphaltiert), Strassenqualität gerade im Westen oft überraschend schlecht,
Belag extrem grob (raubt Kräfte und malträtiert Bereifung), oft schadhaft,
gelegentlich lange, fürchterliche Baustellen (einspurig, da das Baumaterial
nicht neben der Strasse, sondern immer auf einer Fahrspur gelagert wird),
Seitenstreifen fehlen oft.
Verkehr:
Vor einigen Jahren konnte man den Motorverkehr noch als "angenehm
unproblematisch" beschreiben, "sehr dicht nur auf wenigen
Hauptstrassen und natürlich um Städte, insgesamt sehr bus- und lkwlastig".
Die altbekannten, manchmal nicht ungefährlichen Bus- und Dolmus-Fahrer gibt es
immer noch; dazu gesellte sich in den letzten Jahren ein beinahe europäisch-umfangreicher
Fuhrpark an privaten Pkw, vor allem im Westen. Modern, pfeilschnell, ziemlich rücksichtslos,
nur noch wenig angenehmer als etwa in Griechenland. Viele Raser, die man am
Abblendlicht erkennt. Mehr als früher wird man Nebenstrassen bevorzugen.
Transport:
Eisenbahnnetz nicht sehr dicht, langsam, sehr billig, häufige (z.T. tägliche)
Verbindungen von Istanbul über Ankara nach Kars, Tatvan, Elazig und Kurtalan (östlich
Diyarbakir), auch z.B. Izmir - Diyarbakir über Konya (auf Langstrecken
unbedingt beachten, dass die Fahrkarte den Sitzplatz angibt); Fahrrad gegen Gebühr
im Gepäckwagen.
Moderne Reisebusse auf allen Strecken, teurer als Bahn, Radtransport wegen überfüllten
Stauraums (Türken
reisen grundsätzlich nur mit ca. 10 Kubikmeter Teppichen pro Person) oft
problematisch. Wichtiges Verkehrsmittel Sammeltaxi (Dolmus), aber kein Platz für
das Rad, es sei denn, man mietet das Taxi ganz.
Reiseführer:
Sehr viele Reiseführer, vorwiegend auf den Westen, die Küsten, die bekannten
Kultursights fokussiert; eigentlich benötigt man aber gar keinen richtigen
Reiseführer, lieber landeskundliche Literatur lesen, z.B.
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Barbara Yurtdas:
Gebrauchsanweisung für die Türkei, Piper 1997 (mitreissende Darstellung des
Alltags in der modernen Türkei, viele wichtige Details und auch Vokabeln)
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Volker Höhfeld: Türkei -
Schwellenland der Gegensätze, Klett 1995 (Geografie, Wirtschaft etc., mit
vielen Schaubildern, Tabellen, Zahlen)
·
Hütteroth/Höhfeld: Türkei -
Geografie, Geschichte, Wirtschaft, Politik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft
2002 (ab April)
·
KulturSchlüssel Türkei, Max
Hueber Verlag 1999
·
Günter Seufert: Cafe Istanbul,
Beck 1999
·
Strohmeier/Yalcin-Heckmann: Die
Kurden, Beck 2000
·
Selim Cürükkaya: PKK, Fischer
1997
·
Tim Kelsey: Gesichter der Türkei,
Rotbuch 1999 (Reportagen)
·
Aygün und Max Kasparek: Reiseführer
Natur Türkei, BLV 1990 (evtl. vergriffen)
·
Gerda Rob: Türkei kennen und
lieben, LN-Verlag 1990 (evtl. vergriffen)
·
Bettina Selby: Beyond Ararat
(vergriffen)
·
Philip Glazebrook: Journey to
Kars, Penguin
·
Neal Ascherson: Schwarzes Meer,
Suhrkamp 1998
Für touristische Zwecke
offizielles Infomaterial (vor allem die Gratislandkarte =
Campingplatzverzeichnis), zu
bestellen bei: Informationsabteilung des Türkischen Generalkonsulats,
Tauentzienstr.7, 10789 Berlin,
030/2143752
Karten:
Optimal ist Dreierkombination aus:
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RV "Naher Osten,
Iran" 1:2 Mio (sehr anschauliche Topographie, auch als Strassenkarte
brauchbar)
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Gratiskarte der Touri-Info
"Turkey Camping" 1:1,85 Mio (recht zuverlässige Strassenkarte, mit
Unterscheidung Asphalt/ Piste - einige "Pisten" bereits asphaltiert -,
ein paar touristische Angaben, vor allem Campingplätze)
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Shell EuroKarte Türkei
1:750.000 (sehr detailliert)
Die angebliche
"Offizielle Strassenkarte der Türkei" in 7 Blättern (1:500.000) vom
Verlag R.Ryborsch beeindruckt zwar auf den ersten Blick, steckt aber voller
Fehler und Merkwürdigkeiten und ist ihr Geld keinesfalls wert.
Sehenswertes:
Istanbul, die westlichen und südlichen Küsten, die legendären historischen Stätten
und Kappadokien sind ja bekannt genug; einige weitere Anregungen (ohne jeglichen
Anspruch auf Vollständigkeit):
·
faszinierende Berg- und
Tallandschaften in den Randgebirgen, mediterran (z.B. Hinterland von Antalya,
alle westanatolischen Bergzüge), alpin/ hochalpin (z.B. die Bergwelt von
Hakkari - z.Zt. nur eingeschränkt zugänglich -, Kackar Daglari, Munzur Daglari)
oder eher mittelgebirgsartig (z.B. die liebliche, grüne Kulisse hinter der
westlichen Schwarzmeerküste)
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vielgestaltige
Beckenlandschaften im Zentrum (z.B. die riesigen Getreidesteppen im Dreieck
Ankara - Konya - Afyon, die grossen südwestanatolischen Seen, die riesige Senke
des Tuz Gölü)
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abrupte oder allmähliche Übergänge
vom Randgebirge ins Zentrum
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Verfolgung von Flussläufen und
beeindruckenden Schluchten (z.B. Coruh, Bitlis, Zap), z.T. auch auf Pisten und/
oder entlang der Eisenbahn (z.B. nördlich von Gölbasi )
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(beide) Nemrut Dagi, Van-See,
Ararat (und weitere Vulkane), und und und...
Ein bisschen abraten könnte
man z.B. von:
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Marmarameer um Istanbul
·
z.T. entsetzlich verbaute
westliche und südliche Küsten
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extrem befahrene Schwarzmeerküste
zwischen Samsun und Georgien (z.Zt. Erweiterungsbaustelle)
·
lange, monotone Hauptstrassen
in Zentral- und Ostanatolien
·
Mesopotamien im Sommer
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