von
Andalusien aus über Rif-Gebirge, Mittleren und Hohen Atlas bis Ait-Ourir,
zurück über Demnate, Qued Zem, Larache nach Tanger und dann durch die Sierra
des Nieves
2700 km in 24 Etappen vom 07.10.2005 - 30.10.2005
Etappe
1,
07.10.2005, Malaga-Algeciras , 150 km, 7:10 h, ø
21 km/h
Die
Straße entlang der Costa del Sol ist der Alptraum jedes Radfahrers und ich kann
vor dieser lebensgefährlichen Strecke nur warnen. Völlig frustriert erreiche
ich am Abend Algeciras - "wäre ich nur im schönen Heidelberg
geblieben!". Das Hostal Blumen, etwas vor dem Abzweig zur Fähre nach
Marokko gelegen, ist ein echter Glücksgriff. Hat man nach der guten Dusche
einige der hervorragenden Tapas durchprobiert und einen oder mehrere "vino
tinto" getrunken, sind alle Tagessorgen vergessen und man ist wieder glücklich.
Etappe
2,
08.10.2005, Algeciras-Chefchaouen, 120 km, 6:25 h, ø
19 km/h
Diese
Etappe führt zunächst flach am Meer entlang nach Tetouan und anschließend
durch den ersten Teil der Haschisch-Anbaugebiete und ist sportlich recht
anspruchsvoll. Geschätzte 2 Mrd. US-Dollar setzt Marokko mit dem Segen seines Königs
mit Rauschgift um, mehr als mit seinen Phosphatminen oder dem gesamten
Pauschaltourismus. Ca. 20.000 Familien leben von der Produktion, dem Abtransport
und dem dabei anfallenden Bestechungs- und Schmiergeld. Hauptkonkurrent am
"Markt" ist übrigens nicht Kolumbien, sondern die biedere Schweiz, wo
aufgrund der relativ liberalen Drogenpolitik, Hanf in Gewächshäusern
produziert wird. Der Hanfanbau, eine Knochenarbeit, wird hauptsächlich von
Frauen und Mädchen geleistet. Schon junge Girlies ziehen konditionsstark mit
schweren Wasserkanistern auf den breiten Schultern die extremen Steilhänge
hinauf. Und recycled werden die Kiffer-Dollars wieder nach Europa, man fährt
Mercedes (vorwiegend das betagte Modell W 123, gebaut von 1976-1986, z. B. den
240D, der mit seinem Vorkammer-Diesel über schlappe 72 Pferde verfügt und von
0-100 km/h die Ewigkeit von 24 Sekunden benötigt) und besitzt Satellitenschüsseln.
Der Radler wird auf dieser mit einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes
versehenen Strecke mit folgenden "Vertriebswegen" des "Stöffchens"
konfrontiert: 1. am Straßenrand lungern Bankerte und Halbstarke herum, rufen
"Smoke?" und zeigen entsprechende Pakete. Sie ließen sich sehr leicht
abwimmeln. 2. Aufdringlich wie in Deutschland die Herren Kaiser sind hingegen
die motorisierten Händler: mit ihren rasselnden Dieseln fahren sie herbei und
bieten selbst einem fast fünfzigjährigen, schweißüberströmten Radler ihr
gepresstes Harz feil. Verlockende und kostenlose Raucherabende in Ketama
zusammen mit Töchtern Backnanger Fabrikanten oder gar Eidgenössinnen (Chance
zur steueroptimierenden Einheirat) preisen sie an, die Annahme solcher Angebote
überlasse ich jedoch gern meinen Feinden. Diese Typen kriegt man relativ schwer
los, ich bin aber stets gut gelaunt und ruhig geblieben, obwohl's schon juckte
in alter Rennfahrermanier mal von links eng bei zu fahren, blitzschnell den Zündschlüssel
abzuziehen und wegzuwerfen... Nur geträumt - die Jungs haben Handys...
Für
erlogen halte ich hingegen Berichte, dass Leuten unwissend Rauschgift zugesteckt
wurde und sie später Probleme mit der Polizei bekamen. Dies sind Kiffer, die
von Lockspitzeln gekauft haben. Nun, das ganze Treiben vollzieht sich vor einer
grandiosen landschaftlichen Kulisse: Kurzweilig, abwechslungsreich und
formationsreich ist diese P28/P39 durch das Rif-Gebirge und kann durchaus mit
den schönsten Strecken in Andalusien mithalten. Auf der letzten Niete quäle
ich mich die schwere Schluss-Steigung nach Chefchaouen hinauf und steige in dem
nicht empfehlenswerten, abgewirtschafteten Hotel Rif ab. Edith Kohlbach muss bei
der Beschreibung des Hotels geträumt haben, oder war etwa Dope im Spiel? Na ja,
bei einer BKA-Beamtin wohl eher nicht. Majestätisch liegt dieser Ort mit seinen
weißen Häusern am Berg und ich bedauere sehr, dass ich mit meinem lädierten
Fuß nicht länger durch die malerischen Gassen ziehen kann und es nur bis zum
Platz der Kasbahs schaffe. Dort angekommen bestelle ich Cous-Cous. Am
Nachbartisch basteln einige junge spanische Glücksritter, diese Typen mit
Porsche-Cayenne-Schlüssel auf dem Tisch und Kurany-Bärtchen im Gesicht,
einen Joint. Dazu die passenden, schicken Püppchen. Holla, die Waldfee, wie
sich die Szene gewandelt hat: Waren es zu meiner Schulzeit noch die finsteren
Struwwelpeter mit Parkas und einer fünf im Sport, die inhalierten, handelt es
sich hier wohl um die neue Generation der Weiße-Kragen-Kiffer. Bald zeigt sich
die Wirkung, die Augäpfel treten hervor und der Tisch muss ohne Grund gedreht
werden - köstlich.
Rif-Gebirge bei Chefchaouene
Etappe
3,
09.10.2005, Chefchaouen-vor Targuist, 147 km, 8:40 h, ø
17 km/h
Der
zweite Teil der Kifferstrecke entpuppt sich schnell als eine enorm schwere
Gebirgsetappe, die mit jeder Alpenstrecke mithalten kann. Spektakulär ist die
Streckenführung knapp am Abgrund entlang. Hinter Bab Berret, das ich in der Tat
nicht mit einem Auto durchfahren möchte, führt die Straße auf eine schön
bewaldete, grüne Höhe mit knapp 1.800 m. Dann die rasende und gefährliche
Abfahrt in das völlig verwahrloste und heruntergekommene Ketama - immerhin
Provinzhauptstadt. Mopedjäger, die mir ein "Hotel" vermitteln wollen,
schüttele ich an einem der Polizeiposten, von denen die Stadt umringt ist, ab.
Zeitlich habe ich mich verschätzt und ich muss nun an der angeblich unsicheren
Strecke biwaken. Kurz vor der Dunkelheit schlage ich mein Zelt zwischen zwei
"Esel-Tankstellen" auf, die die Form von Rundhütten haben. Erschöpft
liege ich im Zelt und denke: "So, nun erschlagt mich halt, ihr
Rif-Berber!". Klar, nirgendwo im Rif baust du dein Zelt unbemerkt auf und
bald kommt der Bauer: Erste Frage: "Smoke?" Antwort: "No!".
Mit den Händen macht er mir dann klar, dass er einen seiner Hunde zu meinem
Schutz abstellt und besteht darauf, dass ich mein Rad an mein Zelt kette. Wenig
später kommt der Sohn mit einem schön hergerichteten Tablett, darauf Brot,
Olivenöl und frisch gebrühter Tee mit Milch. Tja, unberechenbar, diese Berber,
die ich fast den ganzen Tag verflucht hatte und nun doch beinahe gerührt bin.
Mein Fazit: Mit etwas Stehvermögen ist diese Strecke keinesfalls gefährlich
oder unsicher. Landschaftlich ein absoluter Leckerbissen: aufgrund des wolkigen
Wetters blieb mir leider der Blick über das Mittelmeer bis zur Sierra Nevada
von der Anhöhe vor Ketama verwehrt. Ein andermal - vielleicht...
Abendstimmung im Rif-Gebirge - ganz typisch die vom Mittelmeer tief hängenden Wolken, die das Land befeuchten und den "Stoff" so prächtig gedeihen lassen.
Biwak im Rif an der Eselzapfsäule...
Etappe
4,
10.10.2005, vor Targuist-vor Taineste,
94
km, 6:40 h, ø
14 km/h
Gegen
6:30h weckt mich "mein" Bauer. Interessiert beobachtet er den
infernalischen Startvorgang des XGK-Benzinkochers. Das angebotene, ihm
unbekannte Quinoa verschmäht er, bei den ebenfalls offerierten, getrockneten
Ananasschnitzen (Bio-Produktion aus Sri Lanka), da kann er jedoch nicht
widerstehen und langt ordentlich zu. Von einer Anhöhe schaue ich noch eine
Weile nachdenklich ins Tal hinab: Das harte Tagwerk beginnt und die Esel werden
mit Wasser beladen, das zuvor aus artesischen Brunnen geschöpft wurde -
eigentlich schade, dass ein so uraltes und fruchtbares Land mit einer Monokultur
durch die eigenen Bewohner final zerstört wird. Bald erreiche ich Targuist,
eine kleine Stadt. Der Spuk des Marihuana ist hier vorbei, und es werden wieder
Quitten angebaut, eine Frucht, die Gott misslungen ist und die ich nur als Gelee
oder Saft genießen kann. Dafür werden einmalige halb getrocknete und zu
Platten gepresste Feigen feilgeboten, das hatte ich vorher noch nie gesehen. Der
Geschmack der Rif-Feigen ist einmalig, kein Vergleich zu der in Deutschland
angebotenen Ware, die überwiegend aus der Türkei stammt. Ich fahre auf die
Straße Richtung Taza, die mich sofort mit einer knallharten und langen Steigung
willkommen heißt. Die Menschen hier nehmen überhaupt keine Notiz von mir und
ganz ehrlich: Das ist mir auch am liebsten so. Auf meinen Reisen möchte ich
gern die Landschaft ungestört genießen. An einer Quelle kann ich völlig
unbeachtet meinen dicken rechten Fuß herrlich herunterkühlen, riesige Kröten
springen erschreckt auf. Rückblende: Im Juli wollte ich Peter Michalowsky,
Lok-Führer bei Railion, in Karlsruhe besuchen, um ihm ein paar Tipps zu seiner
Südamerika-Reise zu geben, stürzte im Wald und zog mir einen komplizierten
Bruch des Fersenbeins zu. An einem Stausee, der in keiner meiner Karten
eingezeichnet ist, beginnt die Piste und ein schweres Gewitter. Eine Kolonne
französischer Geländewagen überholt mich freundlich grüßend. Auf einer Anhöhe
finde ich unter hohen Pinien einen genialen Biwakplatz, bis weit in die Nacht
hinein gibt es Blitz und Donner und ich lese zur Beruhigung noch ein paar Seiten
aus Joseph Roths "Das falsche Gewicht" (bei mir hat sich mittlerweile
das richtige Gewicht eingependelt), Wicki hat sich mit
der genialen Verfilmung dieses Buchs in den 70er Jahren, mit Helmut
Qualtinger und Evelyn Opela in den Hauptrollen, ein Denkmal gesetzt.
Etappe
5,
11.10.2005, vor Taineste-Taza, 88 km, 4:11 h, ø
21 km/h
Nach
kurzweiliger Fahrt endet die Piste bald und eine weite, fruchtbare Ebene öffnet
sich: Getreide und Gemüse werden hier angebaut und in einer Saline Salz
gewonnen. Das Getreide wird an einer ruhigen Stelle getrocknet und auf
althergebrachte Weise mit Eseln gedroschen. Ich weiß, dass hinter der Stadt
Taza sofort wieder eine sehr heftige Steigung in den mittleren Atlas beginnt und
stelle daher schon gegen 13:30 h den Fahrbetrieb ein und beziehe in dem Hotel
"Tour Eiffel" ein Zimmer. Der Hotelbesitzer wundert sich sehr, dass
der Radfahrer humpelt und kaum mehr als 1 km laufen kann...
Etappe
6,
12.10.2005, Taza-vor Tamtroucht, 86 km, 6:50 h, ø
13 km/h
Zum
Essen gab es abends im Hotel nur die während des Ramadans übliche dünne und
wenig schmackhafte Suppe, Olivenöl, dickes Brot und Datteln. Außerdem spielte
bis Mitternacht eine Musikkapelle, so dass ich relativ schlecht regeneriert in
die ersten Serpentinen nach der Ortschaft schleiche. Genial trassiert ist diese
am Rande einer Schlucht angelegte Straße. Weiter oben gibt es unter schönen Bäumen
einen Picknick-Platz. An der Passhöhe teilt sich die Straße und ich biege
links in die Piste 4822 ein, die mich schon bei der Planung auf der Karte durch
ihren interessanten Verlauf fasziniert hatte. An einem Brunnen empfangen mich
zeternde Kinder mit einem ersten Steinhagel, ein kleiner Schauer gegen die
Gewitter, die mich noch erwarten werden...
Um
die Mittagszeit fahre ich auf einen Konvoi edler Geländewagen aus schwäbischer
Produktion auf. Die Besitzer, freundliche und gut beleibte Franzosen aus der
Normandie, laden mich auf einen Fruchtsaft und eine dicke Scheibe Melone ein,
nachdem ich Weißbrot, Salami und Rotwein verschmäht hatte. Die Piste ist
wirklich lohnend, steigt sie doch bald in sensationeller Weise in ein uriges
Flusstal hinab, eine sehr einsame Gegend und Fahrzeuge begegnen mir nicht mehr.
Aus diesem Flusstal zieht sich wiederum eine sehr lange und schwere Steigung und
auf ca. 2.000 Metern lassen meine Kräfte nach und ich suche nach einem
Biwakplatz. Wasserreserven habe ich stümperhaft keine mehr und ich muss daher
aus einer riesigen Pfütze filtern, ein doch ebenso mühseliges wie
zeitraubendes Geschäft. Nach dem Spaghettiessen beginnt sofort ein schweres
Gewitter mit entsprechendem Sturm und Starkregen, ich verkrieche mich daher
sofort in den warmen Schlafsack.
Blick zurück nach Taza
Piste 4822: Blick ins Tal, die Steilhänge werden in mühevoller und harter Arbeit mit Maultieren bewirtschaftet, die tiefen Wolkentürme entladen sich bald zu einem mächtigen Gewitter...
Etappe
7,
13.10.2005, vor Tamtroucht-vor Missour, 130 km, 7:00 h, ø
19 km/h
Die
flache Hochebene nach der Passhöhe wird überwiegend von Nomaden bewohnt, die
in jurtenähnlichen Zelten leben. Jede Familie besitzt zwei Zelte, in dem einen
befindet sich der Wohn- und Schlafbereich, in dem anderen die Küche mit
Feuerstelle und Backofen. Diese Nomaden sind sehr freundlich und zurückhaltend.
Bald erreiche ich den Tizi-n-Bou-Zabel und dann folgt eine rasende Abfahrt in
ein fruchtbares Tal, Granatäpfel und Aprikosen werden hier überwiegend
angebaut. Nach dem Tal folgt noch einmal ein lang gezogener Scharfrichter, bevor
die Ortschaft Immouzer-Marmocha beginnt. Diese Steigung werde ich noch lange in
unangenehmer Erinnerung behalten, versuchen Banditen mich doch kurz vor der
Passhöhe regelrecht zu steinigen. Riesige Brocken fliegen vor und hinter meinem
Kopf und an meinem Körper vorbei, so eng, dass ich den Luftzug spüre. Mit
einem höllischen Krachen schlagen die Steine auf dem Asphalt auf. Noch mal Glück
gehabt und unverletzt stürze ich mich in die Abfahrt. Die Polizisten an der
Polizeistation sind sehr freundlich und rücken sofort aus. Ich ziehe für mich
den Schluss, dass Marokko keinesfalls so harmlos ist, wie es mir die Reiseführer
zweier Damen weismachen wollten: Fremdenhass und Gewaltkriminalität, durchaus
anzutreffen im Königreich. Aber auch eine Sicherheitsmacht, die hervorragend
ausgerüstet ist und mich ernst genommen hat...
Hinter
der Stadt Almis-Marmoucha ändert sich das Landschaftsbild radikal und die
typische weite, aride Landschaft Afrikas mit der staubtrockenen Luft und den
Tafelbergen öffnet sich. Kurz vor Missour finde ich an einer Akazie einen
hervorragenden Biwakplatz. Bald sind die Aufregungen des Tages vergessen und ich
schlafe ruhig wie ein Murmeltier.
Ob Eric ihn kennt? Tizi-n-Bou-Zabel, ganz rechts in der Scharte die Passhöhe, knapp 2.200 m hoch, Schlusssteigung sehr steil und ruppig
Mist!, trotz (oder wegen?) GPS verfahren! Rechts geht's ab Richtung Missour
Etappe
8,
14.10.2005, vor Missour-Midelt, 108 km, 5:15 h, ø
21 km/h
Missour
ist eine Garnisonsstadt. Ein großer Flugplatz befindet sich hier und die
Kasernen sind modern ausgerüstet: Solaranlagen zur Zubereitung von Warmwasser
befinden sich auf den Dächern und die Gebäude machen einen blitzsauberen und
gepflegten Eindruck. Die Strecke ist nach meinem Geschmack: leicht wellig und
nur zum Schluss folgt eine lange, gemäßigte Steigung nach Midelt, das ich
gegen 15 Uhr erreiche, um in einem schönen Hotel abzusteigen und mich auf die
kommenden, schweren Etappen vorbereiten kann.
Etappe
9,
15.10.2005, Midelt-Tizi-n-Znou, 78 km, 6:50 h, ø
11 km/h
Schon
am Ortsausgang von Midelt beginnt eine fürchterliche Bettelei und
"Kinderverfolgung", die mich bis Msmrir nicht mehr loslassen wird. Die
Piste ist heiß und schwer, sie führt in eigenartiger Manier rechts um den
Cirque Jaffer herum. Nach einer ersten Passhöhe folgt eine atemberaubende
Abfahrt: Schmaler und schräger geht's nicht. Ein Motorrad mit Beiwagen hätte
hier schon Probleme nicht umzukippen und seitlich geht es ohne Sicherung 400 Höhenmeter
tiefer. Dann folgt eine wesentlich leichtere Passage durch schöne Pinienwälder.
Fahrzeuge begegnen mir hier keine - nur ab und zu ein Hirte mit seiner
Ziegenherde oder Reiter. Nur ganz knapp entkomme ich dem einstelligen
Tagesschnitt und mache am Tizi-n-Znou Biwak. Abends beschließe ich, am nächsten
Tag einmal alles aus dem Körper herauszuholen und ich will am Abend unbedingt
am See Tislit sein...
Schwere Steinpiste mit tiefen Querfurchen am Cirque Jaffer
Dichte Wälder - typisch für die Piste um den Cirque Jaffer
Etappe
10,
16.10.2005, Tizi-n-Znou-Tislit, 110 km, 8:10 h, ø
13 km/h
Die
Dörfer vom Tizi-n-Znou in Richtung Imilchil werden gerade mit Strom aufgerüstet.
Die schweren Fahrzeuge der Elektrizitätsgesellschaft haben die Piste ruiniert,
so dass man hauptsächlich durch einen Fluss fahren muss. Eine anstrengende und
schweißtreibende Arbeit ("I am battling", wie der Engländer sagt).
Bevor die Abfahrt in das nach Imilchil führende Flusstal beginnt, ist noch ein
2.600 m hoher Pass zu fahren, dann folgt die schnelle Abfahrt nach Tabanast. Ein
junger Bauarbeiter, der die Fahrlinie genau kennt und den ich bergauf versägt
hatte, hängt mich in der Abfahrt zunächst gnadenlos ab, später kriege ich ihn
wieder in Sicht. Es ärgert mich tierisch, dass dieser Bursche ungehindert
durchkommt, während ich in diesem Drecknest dauernd angebettelt und behindert
werde und ihn daher wieder aus den Augen verliere. Meine leeren Trinkpacks werfe
ich den Bankerten wütend hin und in ihrer grenzenlosen Gier rennen sie dem Müll
hinterher und sammeln ihn...
Die
Teerstraße nach Imilchil ist in der Abendstimmung wunderschön, am liebsten würde
man sein Zelt gleich am Fluss aufschlagen, aber es hat dort zu viele Viehherden.
Dies tue ich dann an dem oberhalb der Ortschaft befindlichen See Tislit. Der
dort befindliche Zeltplatz ist mit ausgelaufenen Dieselspuren verseucht. Essen
gibt es nicht und die Toiletten werden über Nacht verschlossen. Der Betreiber
erhält von mir daher die goldene Zitrone, für den schlechtesten "Gast"betrieb,
der mir in den letzten Jahren untergekommen ist. Da nützt ihm auch der schöne
Studiosus-Aufkleber nichts, über die gezahlten 2 Euro ärgere ich mich heute
noch. Auf der Seite 90 in Joseph Roths "Das falsche Gewicht" lese ich
eine Beschreibung des Lebensmittelladens Mandel Singer: "Ach! Welche Waren!
Man bekam Zwiebeln, Milch, Käse, Eier, Knoblauch... Aber wie winzig waren die
Mengen, und wie furchtbar die Beschaffenheit dieser Lebensmittel!" Dies
passt gut zu dieser Auberge Tislit (bei mir "Mandel Singer Herberge").
Schöne Auberge an der Strecke Midelt-Imilchil, man beachte die herbstliche Färbung der Bäume
Einsamer Baum und merkwürdige Bodenformation
Etappe
11,
17.10.2005, Tislit-Tizi-n-Ouano, 70 km, 5:10 h, ø
14 km/h
Deutlich
besser bestückt als der Laden Mandel Singers ist das Geschäft, bei dem ich
mich in Imilchil nach einem Frühstück in einem der zahlreichen Hotels
eindecke. Freche Kinder bringen es durch wildes Drücken an meinem Geko fertig,
Menüs anzuzeigen, die ich auch nach aufmerksamen Studium der
Bedienungsanleitung noch nie zum Vorschein brachte. Zwei Ortschaften weiter
klauen mir Kinder den Verschluss von meinem Wassersack - blöder Schaden, denn
nun muss ich - sehr unpraktisch - dicke Pet-Flaschen mitführen. Die Auffahrt
zum Pass weist einige sehr steile Passagen auf, ist jedoch komplett fahrbar. Ich
zelte auf der Passhöhe und nachts zieht ein schwerer Schneesturm auf, morgens
sind alle Wasserreserven gefroren...
Tislit - Morgenstimmung, nicht täuschen lassen, die Gegend um den See ist (leider) ziemlich vermüllt, auch fiese Glasscherben am Ufer Umweltbewusstsein - Fehlanzeige in dieser Gegend!
Etappe
12,
18.10.2005, Tizi-n-Ouano-Boulmane, 130 km, 6:50 h, ø
19 km/h
Der
Schnee hat den Boden in einen fiesen Schlamm verwandelt, der überall anklebt:
am Zeltboden, den Schuhen, am Fahrrad. Auf der Piste sackt man urplötzlich und
ohne Vorwarnung bis zu den Naben ein. Hier bewähren sich meine
Hope-Scheibenbremsen sehr gut, denn sie fressen nicht fest. Weiter unten hat der
Schneefall eine Überschwemmung verursacht, die Ernte fließt davon und viele
Frauen weinen - ein Jahr Arbeit umsonst. Die traurige Stimmung bewirkt auch,
dass sich die Kinder zurückhalten - kein Angriff heute. Mit einem völlig
verschlammten Rad erreiche ich Msmrir, wo man mir ein "Omelette
Berber" serviert. Nun beginnt eines der Filetstücke jeder Marokko-Reise,
die Fahrt durch die Dades-Schlucht. Es ist der mit Abstand schönste Teil meiner
Reise und ich genieße jeden Meter. Natürlich wissen das auch die
Pauschalreiseunternehmen und es begegnen mir zwei begleitete, unüberhörbare
Motorradhorden des Reiseveranstalters Zitzewitz und des Reiseunternehmens "Teambuctou"
der Rallye-Zicke Andrea Mayer. Den Gruß dieser Leute erwidere ich nicht, denn
ich mache sie mitverantwortlich für die enormen Schwierigkeiten, die ich als
Individualreisender mit Kindern und Bettlern hatte, und verachte sie daher. Fühlen
sich doch einige als selbsternannte "Entwicklungshelfer" berufen und
verschenken Kugelschreiber an die Kinder oder noch schlimmer: verteilen kariesfördernde,
süße Bonbons. Am Eingang der Schlucht mache ich Kaffeepause. Ein Marokkaner
hat mit viel Liebe das Hotel "Des Roses" aufgebaut. Stolz zeigt er mir
die schönen Zimmer und Bilder vom "Tal der Rosen" in der Mgoun-Gegend.
Vielfältig sind die Felsformationen am Dades: Einmal geordnet, als hätte
Leonardo Da Vinci mit riesigen Händen die Geometrie angelegt, ein andermal
unordentlich übereinander gewürfelt wie in einem Topf Quellkartoffeln. In
Boulmane angekommen, eine laute und hässliche Stadt mit vielen
Handwerksbetrieben, finde ich keine gescheite Unterkunft. Ich beschließe daher
im Abendlicht noch einmal in die Schlucht zurückzufahren und finde nach etwa 20
km eine kleine Pension, in der alles passt.
Erster Schnee in einer der großartigsten Canyonlandschaften - weltweit
Alptraum jedes Mechanikers und der dazugehörige Kerl erst - der Alptraum jeder Frau
Feigen, Orangen, Zitronen - alles in der Oase
Artig wie in jedem Reiseführer fotografiert: Die Tiroler Kaiserjäger hätten den Abstieg in die Dades-Schlucht nicht besser trassieren können...
Strasse an der Engstelle überflutet
Abendstimmung
am Dades - wirklich traumhaft, lässt manches Problem vergessen
Etappe
13,
Boulmane-Quarzazate, 19.10.2005, 135 km, 5:47 h, ø
23 km/h
Schon
früh erreiche ich nach zügiger und heißer Fahrt Quarzazate. Unterwegs werden
überall Rosenprodukte angeboten: Öl, Seife, Creme und auch ich erwerbe eine
dieser wohlriechenden Cremes. Den geplanten Ausflug zum Mgoun lasse ich fallen:
zu lahm mein Gang und null Bock auf verschlammte Pisten. Quarzazate ist ein
sympathisches Wüstenstädtchen. Es gibt einen Supermarkt mit Selbstbedienung
und Hotels in allen Preisklassen. Treffpunkt vieler Gringos und HartzIV-Empfänger
ist das Hotel Royal, dort kann man hervorragend essen und plaudern. Schräg
gegenüber ist ein Internet-Cafe mit DSL-Anschluss.
Etappe
14,
20.10.2005, Quarzazate-Telouet, 85 km, 5:45 h,
ø
15 km/h
Die
Straße ist bis Ait-Benhaddou geteert. Dann beginnt eine im unteren Teil sehr
spektakuläre, gut fahrbare und abwechslungsreiche Piste. Es gibt einige
problemlose Furten. Im oberen Teil (ab dem Steilstück mit Engstelle) ist die
Piste hingegen ein ungepflegter, miserabler Steinbruch und nur für Tiere
brauchbar. Nicht die Steigung, sondern der schlechte Fahrbahnzustand zwingt hier
zum Schieben. Nach dem Speckgürtel von Ait-Benhaddou beginnt sofort wieder die
Bettelei, allerdings wenig aufdringlich und harmlos. Unter dem Strich ist es
bestimmt eine der interessantesten Off-Road-Strecken Marokkos, die man
allerdings in umgekehrter Richtung befahren sollte, um die herrliche Aussicht
besser genießen zu können. Auf dem Rad denke ich über die Optionen meiner
weiteren Reise nach: Die schwere Strecke über den Toubkal scheidet wegen meinem
lahmen Fuß aus. Weitere Pässe zwischen Marrakesch und Agadir abgrasen? Nein,
dieses Klein-Klein in den Bergen ist nicht mein Ding, es soll schon einen
richtigen Strich auf der Landkarte geben. An einer Auberge mache ich kurz Pause:
Die widerliche Fragerei der Kinder nach Dirham ignoriere ich eiskalt und
entscheide an der schön in Kopfhöhe angepinnten Michelin-Karte
leidenschaftslos, das, was der Militär "Entsatz", oder der Radfahrer
"Ich will hier raus!" nennt: Ait Ourir-Ouzoud-Fkih B. Salah-Qued
Zem-Rommani-Khemisset-Larache-Tanger wird auf die Rückseite meiner Karte
notiert, 562 km Luftlinie bis zum Hafen Tanger zeigt mein Geko, ich rechne: pro
Tag 100 km Luftlinie, also 6 Tage bis Tanger, eine Rechnung, die aufgehen wird.
Kurz bevor die Teerstrasse beginnt, treffe ich noch auf eine große Gruppe
Radfahrer aus Italien. Die Begrüßung verläuft sehr herzlich, nur von ihrem
"Reggiano" wollen die Tiffosi mir nichts abgeben. Im Gegensatz zu mir
müssen sie sich beeilen, in 1 ½ h ist Sonnenuntergang und sie müssen noch bis
Ait-Benhaddou.
Ait-Benhaddou - lässt einen schon die Luft anhalten!
Morgenlicht an der Kasbah von Telouet
Etappe
15,
21.10.2005, Telouet-vor Demnate, 147 km, 6:35 h, ø
22 km/h
Nach
kurzer, welliger Fahrt erreiche ich den meiner Meinung nach schönsten Pass
Marokkos, den Tizi-n-Tichka. Die Auffahrt zur Passhöhe ist milde trassiert und
der Blick reicht bis zur Smogglocke der Ebene. Eine heftige Abfahrt folgt, doch
bevor die endgültige Flachstrecke Richtung Marrakesch kommt, ist noch ein
Scharfrichter zu bewältigen. Allah meint es gut und schickt einen schwer
schnaufenden Haubenbrummer Volvo N12. Sofort gehe ich in den Windschatten und
fahre mit 16 km/h die Steigung herauf, allein packe ich nur 12 km/h. Und am schönsten:
Die Plane zum Abdecken der Ladung ist mit schön langen Stricken befestigt, wenn
ich übersäuert habe, brauche ich mich nur bis zur Erholung festzuhalten -
herrlich, so machen Berge Spaß! Auf einem kurzen Flachstück lasse ich abreißen
und genieße in einem kleinen Restaurant die herrliche Aussicht. In Ait-Ourir
verlasse ich die Hauptstrasse, denn von Marrakesch erwarte ich außer Abgas, Lärm
und aufdringlichen Händlern nichts. Kurz vor Demnate finde ich unverhofft in
einem Olivenhain einen genialen Biwakplatz, schwarze und grüne Oliven kann ich
direkt vom Baum ernten und zum Nachtisch eine frische Kaktusfeige - perfekt,
danke vielmals!
Etappe
16,
22.10.2005, vor Demnate-Ouzoud, 100 km, 5:25 h, ø
18 km/h
In
der Michelin-Karte ist die Cascade de Ouzoud als herausragende Sehenswürdigkeit
eingezeichnet. Die Anfahrt dorthin ist recht schwierig, sind doch zahlreiche
steile und für mich etwas zu lange Berge zu bewältigen. Leider ist die Gegend
um den Wasserfall eine der asozialsten in ganz Marokko. In Plastikverschlägen
hausen sie, riesige Lagerfeuer lodern, die Kinder pfeifen frech und werfen
sofort Steine. Die Hotels und Campingplätze rund um den Wasserfall gleichen
eher einem Slum als einer Touristenanlage und ich denke, ohne die Polizeistation
würde man sofort ausgeraubt. Da ich mit Sonnenuntergang an einem der Campingplätze
eintreffe, habe ich keine Option mehr. Der Platz gleicht eher einer Sondermülldeponie:
Altbatterien und Dosen sowie Scherben liegen herum, der Besitzer der für so
einen unmöglichen Platz 20 Dirham fordert, bekommt von mir zehn. Der Platz füllt
sich allmählich mit holländischen Wohnmobilen, nette Nachbarn, die durch ihre
Ruhe und Besonnenheit auffallen. Eine Frau schenkt mir eine Packung Makkaroni,
die sofort verarbeit werden. Bald schlafe ich tief...
Schöne Canyonlandschaft - nach der Cascade de Ouzoud
Etappe
17,
23.10.2005, Ouzoud-Qued Zem, 138 km, 6:50 h, ø
20 km/h
Etappe
18,
24.10.2005, Qued Zem-vor Khemisset, 166 km, 8:15 h, ø
ø
20 km/h
Etappe
19,
25.10.2005, vor Khemisset-Souk el Arba, 146 km, 6:15 h, ø
23 km/h
Etappe
20,
26.10.2005, Souk el Arba-Tanger, 166 km, 7:45 h, ø
21 km/h
Auf
den Etappen 17-20 habe ich mich innerlich schon von Marokko verabschiedet und
sie verlaufen alle nach dem gleichen Strickmuster: mit einer möglichst gleich
bleibend niedrigen Herzfrequenz eine möglichst hohe Kilometerleistung
herausholen, nur das absolut notwendigste Einkaufen, und fahren, fahren, fahren.
Die Strecke ist bis auf wenige Ausnahmen verkehrsarm und landschaftlich
abwechslungsreich, ich würde sie jedem, der schnell nach Marrakesch will,
empfehlen. Landschaftlich herausragend ist allerdings nur der Abschnitt von
Asilah nach Tanger, hier befinden sich riesige Sanddünen am Meer. Ich bin glücklich
als das Schiff in Richtung Algeciras ablegt und alle Marokko-Liebhaber mögen
mir verzeihen...
vor Khemisset: Letztes Biwak in Marokko - bevor die Arbeit auf der fruchtbaren Scholle beginnt, muss ich weg sein
Etappe
21,
27.10.2005, Algeciras-Gaucin, 62 km, 3:30 h, ø
18 km/h
Kurz
hinter Algeciras beginnt die Straße A-369 nach Ronda. Es handelt sich nach
meiner Meinung um eine der schönsten Radstrecken in ganz Europa. Mit einer großen
Tafel werden die Autofahrer auf die Radfahrer hingewiesen. Nach den
anstrengenden, letzten Etappen durch Marokko antizipiere ich nun die
Radfahrferien eines 60jährigen. Gestern Abend hatte ich mich wieder im Hostal
Blumen an Tapas und einem dreigängigen Menue gelabt (7,50 Euro). Und auch
einige Gläser des schlechten, jedoch süffigen "San Miguel" liefen
die Kehle hinunter. Gefrühstückt wird in dem direkt am Kreisel befindlichen
Restaurant, der Schokokuchen dort ist Weltklasse. Bei einem (kostenlosen)
Internetprovider (Ono) mache ich den Rückflug nach Deutschland klar. Nach
mickrigen 62 km mache ich oberhalb von Gaucin am Berggasthaus Brenaverde Pause:
Schinkenbrot und Rotwein. Der Gasthof gefällt mir so gut, dass ich den Patron
um ein Zimmer bitte. Für 20 Euro wird absolute Ruhe und ein atemberaubender
Blick ins Tal geboten - sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis. Nur kochen,
kochen will der knorrige Bursche nicht für mich und dabei hätte ich doch so
gerne das Nationalgericht "Rabo del Toro" - Stierschwanz probiert.
Etappe
22,
28.10.2005, Gaucin-Ronda, 92 km, 6:00 h, ø
15 km/h
Nachdem
ich gemütlich auf einer Bank gevespert habe, starte ich seelenruhig in die
schwere Steigung nach Ronda. Aus der Ferne erscheint die durch Gewerbegebiete
breit gewordene Stadt träge und langweilig und erst auf der Abfahrt zur römischen
Brücke nimmt man das Ungeheuerliche an dieser Stadt wahr: auf zwei Felsmassiven
ist die Stadt angelegt und Alt- und Neustadt sind durch eine Brücke miteinander
verbunden. Ich besichtige die Stadt ausgiebig, bevor ich sie nach ausgiebiger
Rast in einer Holzofenpizzeria in Richtung Malaga verlasse. Die Zeit reicht
nicht mehr um die Bodega von Friedrich Schatz zu besuchen, der auf seiner Finca
ökologische Weine der absoluten Spitzenklasse produziert und mittlerweile nicht
mehr von den stolzen Spaniern ausgelacht wird. Schon bald sehe ich eine steile
Rampe, die zu einem Plateau hinauf führt. Ich beschließe, dort zu biwaken,
muss jedoch über den Pass nach El Burgo hinunter und wieder zurück, um Wasser
zu holen. Es ist in der Tat ein traumhafter Biwakplatz, von dem man das hell
erleuchtete Ronda sehen kann.
Blick auf Algatocin
Ronda - römische Brücke
Ronda
El Burgo
Etappe
23,
29.10.2005, Ronda-Malaga, 110 km, 5:15 h, ø
21 km/h
Von
einem befreundeten Radfahrer weiß ich, dass hinter Malaga eine wilde
Bergstrecke beginnt und man auf einer Teerstraße mit 360° Kehren wieder hinab
nach Malaga fahren kann. Ich habe sogar einen kompletten GPS-Track in meinem
Geko. Zunächst genieße ich die rasende Abfahrt von Yunquera hinunter an das
Mittelmeer. Malaga ist ein furchtbarer Moloch und ich kann es kaum fassen, als
plötzlich doch der "Parque Natural Montes des Malaga", gesperrt für
Motor-Fahrzeuge, auftaucht. Steil geht's es hinauf und bald finde ich umsäumt
von riesigen Kakteen einen herrlichen Biwakplatz. Ich kann den Weg einsehen,
aber vom Weg aus, kann mich niemand sehen, das gefällt mir. Die Ruhe wird nur
hin und wieder von einem Flugzeug gestört.
Etappe
24,
30.10.2005, Malaga-Torremolinos, 71 km, 4:15, 17 km/h
Die
Strecke wird sehr stark von Mountainbikern frequentiert und bereits beim Frühstück
sehe ich die ersten. Leider ist der heutige Tag etwas trüb, so dass ich die
Fernsicht auf Malaga und das Mittelmeer nicht in voller Schärfe erleben darf.
Trotzdem eine tolle Strecke...und ebenso schön das anschließende Bad im
Mittelmeer.
Zwei
Fragen nehme ich von dieser Reise mit: 1. Wie funktioniert die marokkanische
Seele, und 2. wie kann sich jemand in Torremolinos, von einem Fischerdorf zu
einer Art Marzahn am Mittelmeer mutiert, im Urlaub wohlfühlen?
Mirador del Cochina - ca. 750 m hoch
Noch ein Biwakplatz frei? Queen Elizabeth 2 in Malaga
Meine
ganz persönliche Meinung zu diversen Fragen über Marokko:
Von
Malaga nach Marokko - eine Alternative zu Agadir?
Von
Deutschland werden teils sehr günstige Flüge nach Malaga angeboten. Die Fähre
von Algeciras nach Ceuta kostet ca. 30 Euro (Algeciras-Tanger ca. 60 Euro),
Grenzübertritt völlig problemlos und schnell, Dirham eintauschen und los
geht's. Ich rate jedem davon ab, am Meer entlang nach Algeciras zu fahren.
Man sollte über die Berge nach Ronda fahren, die Fahrzeit beträgt dann
mindestens zwei, besser drei Tage. Diese Strecke ist extra für Radfahrer
hergerichtet und ein absoluter Leckerbissen. Die Preise in Südspanien (Getränke,
z. B. Bier 1 Euro, Essen, z. B. Buffet für 6 Euro, Übernachtung) sind günstig,
das Preis-Leistungs-Verhältnis ist hervorragend. Biwak ist im Küstenbereich
ganz schlecht möglich, da alles eingezäunt und erheblicher Verkehrslärm. Ich
halte das Rif-Gebirge für sehr sehenswert und für keinesfalls gefährlicher
als die übrigen Teile Marokkos. Ein Abstecher von Andalusien durch das Rif und
zurück entlang der Küste bietet sich jedoch nur unter folgenden
Voraussetzungen an: 1. Sehr gute Kondition, die Pässe im Rif sind höher und länger
als in Andalusien, 2. Psychisches Stehvermögen gegen die aufdringliche
marokkanische "Gastfreundschaft", 3. Die Bereitschaft zum wilden
Biwakieren, da es kaum annehmbare Pensionen gibt. Beachtet bitte, dass eine
Radreise im eigentlichen Sinn in Marokko nicht möglich ist, es handelt sich um
expeditionsmässige Unternehmungen, bei denen die Tagesziele durchgezogen werden
müssen. Ganz ehrlich: Ich würde
das schöne und bequeme Andalusien, das einsame und schwere Trails bis zum
Abwinken bietet, nicht für ein Marokko-Abenteuer verlassen. Meines Erachtens
bleibt eine Rundreise um Agadir auf
den geteerten Strassen mit vielleicht einem Pistenabstecher (mein Tipp wäre
Siroua-Massiv oder Taouz-Tagounite) die bessere Wahl für Marokko.
Marokko
während des Ramadans?
Ich
würde nicht während des Ramadans
nach Marokko reisen:
1. eine gelähmte Stimmung liegt wie Mehltau über dem ganzen Land, in
Nicht-Touristengebieten sind alle Cafes und Gaststätten geschlossen, es gibt
tagsüber kein Brot zu kaufen. Unter den giftigen Blicken der Einheimischen kann
man sich von Milch, Joghurt und Süßwaren ernähren; 2. in diese Zeit fallen
die ersten Regenfälle, Stürme und Schneefälle, die dem Radfahrer das Leben
nicht gerade leichter machen, weil die Pisten zu regelrechten Sümpfen werden.
Kinderplage,
Herumlungern und Gaffen Erwachsener, marokkanische "Kernkompetenzen"
oder die Folgen des Pauschaltourismus?
Neben
anspruchsvollsten Gebirgsstrecken und schweren Pisten erwarten den Radfahrer
auch enorme psychische Herausforderungen. Es mag sein, dass sich manche
Touristen über heran laufende Kinder freuen und Geschenke verteilen, wenn sie
gelangweilt und gut genährt aus
ihren klimatisierten Geländewagen steigen und nachdem sie die Straßenränder
mit grünen Heineken-Dosen vermüllt haben. Einer, der am Tag 4-5.000 kcal
verbrennt, würde bei den Rotznasen hingegen ohne zu zögern entsprechende Judowürfe
anbringen, wenn er sie denn beherrschen würde.
Auf
dieser Reise wurde ich im Abschnitt Midelt-Msmrir
von einer extremen Kinderplage und militanten Bettelei Erwachsener heimgesucht.
Ich war mehrmals kurz davor, die ganze Reise entnervt aufzugeben und wollte
einfach nur noch heim (Odenwald, Hüttenthaler Molkerei, in Ruhe ein Glas
Ziegenmilch trinken, ohne dass mich einer dumm anmacht). Diese Mischung aus
aggressiver Bettelei ("Monsieur, Stylo, Bonbon, Aspirin, Dirham, Cadeau,
Bijoux"), arroganter Dummheit, frecher Neugier und Gewalt bei
Erfolglosigkeit (Steinwürfe, Reißen an den Taschen) ist weltweit einzigartig
und führt dazu, dass viele Touristen das Land nur einmal besuchen. Was nicht
niet- und nagelfest ist, klauen einem die kleinen Ratten vom Rad. Mit
Gegengewalt bin ich vorsichtiger geworden, nachdem ich mir einmal das
"Waffenarsenal" eines etwa zehnjährigen Hirtenbubs habe vorführen
lassen, der mir zum Aufschrauben meines Gekos gleich sein 10 cm langes Messer
anbot (im mitgeführten Sack noch eine Steinschleuder und eine
rasiermesserscharfe Sichel). Nervig ist auch das Herumgelungere und aggressive
Gaffen vieler Erwachsener. Jeder muss das wissen,
es gibt hier nichts zu beschönigen, und man soll dann in Ruhe überlegen
und entscheiden, ob man sich das im Urlaub geben will. Ich rate ausdrücklich
vom Nachfahren dieser beschriebenen Strecke (Etappen 9-11) ab. Fahrt in
die weniger touristischen Gebiete wie Antiatlas, Seitentäler im Rif-Gebirge und
Mittleren Atlas.
Typisch für Marokko: Schwer schuftende Frauen, während die meisten Männer faul herumlungern und beim Radfahrer um Zigaretten betteln...
Hotels
in Marokko
Nun,
ein Germane fragt sich schon, warum es die einstigen intelligenten Bewässerungskünstler
aus dem Maghreb nicht schaffen, ca. 7 Liter angenehm temperiertes Wasser mit
anständigem Druck für einen kaputten Radler zum Duschen bereitzustellen -
nicht in Zimmern zu 250 DHM und nicht in Zimmern zu 25 DHM. Ähnlich wie im Land
der ehemaligen Kolonialmacht sind die Hotels und insbesondere die sanitären
Anlagen schlicht und einfach eine Katastrophe, ein Land wie z. B. Peru ist da um
einiges besser. Meine Erfahrung ist, dass man keinesfalls mehr als 100 DHM für
ein Zimmer ausgeben sollte.
Des
Metzgers Schlusswort zu Marokko
Knapp
6.000 km habe ich in den letzten beiden Jahren in Marokko abgekurbelt.
Beklatscht und bejubelt wurde ich - ebenso wie fast gesteinigt und ausgepfiffen.
Einmalige, wilde und stille Biwakplätze mit einem unbeschreiblich klaren
Sternenhimmel durfte ich großteils unentdeckt genießen, dies war durch kein
Adlon aufzuwiegen und der Dank Allahs für alle durchgestandenen Strapazen.
Durch die vermüllten, mit Abgas verseuchten und mit torkelnden Fußgängern
besiedelten Städte habe ich mich
immer hochkonzentriert gequält. Nicht geschafft habe ich Toubkal und Mgoun,
kein Drama für einen Rouleur. Ja, Marokko, du warst ein bisschen wie die vielen
Esel und Maultiere, die ich während meines Wegs gesehen habe: Es konnte alles
wunderbar sein zwischen uns, aber wehe du wurdest störrisch, dann hab' ich dich
verflucht...
Adieu,
schön war die Zeit!!!
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