Mit dem Fahrrad durch Marokko 

Dades Tal – Todhra Schlucht   

Die Kerze wirft flackernde Schatten an die Steinwände. Fünf Meter tief in den Fels geschlagen und kaum mannshoch erstreckt sich die Höhle. Die Spuren der Grabarbeiten sind noch an der Decke zu sehen. Draußen ist es schon dunkel und gegen Anfang November sehr kühl. Hier drinnen ist es hingegen wohlig warm und gemütlich. Ein altersschwacher Radio krächzt französische Chansons und es riecht nach Erde. „Encore du Thé?“ (Noch etwas Tee?) fragt Mohammed und füllt die Gläser auf dem schwankenden Holztisch.  

Wir sind nun bereits seit zwei Monaten mit unseren Fahrrädern in Marokko unterwegs. Die Atlantikküste, berühmte Städte wie Rabat, Casablanca und Marrakesch liegen schon hinter uns. Aber auch sportliche Herausforderungen, wie die Pässe des hohen Atlas haben wir gemeistert. In den nun folgenden Tagen soll ein weiteres Abenteuer folgen…  

Wir wollen das Dades-Tal hinauffahren, über den Tizi-n-Ouanou (2950m) nach Agoudal gelangen und über die Todhra-Schlucht auf unsere Hauptroute bei Tinerhir zurückkehren.  

Wir erkundigten uns über die Pistenverhältnisse und Versorgungsmöglichkeiten auf der geplanten Route, bevor wir bei Boulmaine ins Dades-Tal abbogen. Der Dades glitzerte unter uns. Er ist einer der wenigen Wasser führenden Flüsse Marokkos. Er macht sein Tal zu einer fruchtbaren Oase mit saftig grünen Feldern. Wir fuhren das terrassenartige Tal sanft bergauf. Immer schmäler wurde es, bis schließlich neben dem Fluß kein Platz mehr für die Straße blieb, und sie sich in Serpentinen die Steilwand hochschlängelte. Wir ließen die Räder auf der anderen Seite hinunterrollen zur Gorges du Dades, der schmalsten Stelle des Tales. Eigentlich hat hier in drei Meter Breite nur der Fluss Platz. So wurde die Straße in den Berg gegraben und windet sich mehrere hundert Meter unter überhängenden Felsen neben dem Wasser durch die Engstelle. Am Ende angekommen wollten wir am liebsten umdrehen und noch einmal durchfahren. Doch die Sonne war bereits am Untergehen und so mussten wir uns sputen, einen geeigneten Zeltplatz für die Nacht zu finden.  Bei der Suche begegneten wir Mohammed, einem jungen Berber. Im Rohbau seines zukünftigen Restaurants durften wir unser Zelt aufstellen. Danach lud er uns in seine provisorische Wohnhöhle zu einem Gläschen Tee ein, wo wir nun sitzen und plaudern.

Er erzählt uns, dass es hier in den Bergen noch viele bewohnte Höhlen gibt und macht uns den Vorschlag, seine Großmutter zu besuchen, die in einer solchen Berberhöhle lebt.

Also brechen wir am nächsten Morgen auf und biegen vom Dades in ein trockenes Seitental, durch das ein Eselspfad den Hang hinaufführt. Während wir so dahinmarschieren, kommen uns von oben singende Bäuerinnen entgegen, die riesige Brennholzbündel am Rücken tragen. Nach dem zweistündigen Aufstieg erreichen wir, versteckt in einem ausgetrockneten Flussbett, die Berberhöhlen. Unweit davon grasen Zicklein, und eine alte Frau begrüßt uns- Mohammeds Großmutter. Die obligate Einladung zum Tee folgt prompt. So betreten wir eine durch eine Steinmauer bis zur Hälfte abgeschlossene Wohnhöhle und nehmen auf den ausgebreiteten Matten Platz. Mit Staunen beobachten wir, wie die Alte am offenen Feuer unseren Tee zubereitet. Dazu reicht sie uns hausgemachtes Fladenbrot. Die kleinen Zicklein liegen schlafend neben uns, nur die Hühner sind in der guten Stube nicht erwünscht.  Wir erfahren, dass der Rest der Familie mit der Ziegenherde zum Weiden unterwegs ist.

Nach einer knappen Stunde verabschieden wir uns und steigen wieder ab. Als wir im Tal unten ankommen, ist der Nachmittag schon weit fortgeschritten, und wir beschließen, noch einen weiteren Abend bei unserem Gastgeber zu verbringen.

Tags darauf heißt es für uns Abschied nehmen, obwohl wir es hier auch noch länger ausgehalten hätten. Doch der Berg ruft und wir wollen weiter.

Also satteln wir unsere Räder und fahren weiter das Dades-Tal hinauf. Mit zunehmender Höhe wird es immer breiter und geht schließlich in eine Hochebene über, die von 3000 Meter hohen Bergen umgeben ist. Gegen Abend erreichen wir Msemrir und damit das Ende der asphaltierten Straße. Ab hier geht es nur noch auf Pisten weiter. Wir holpern und rattern in eine namenlose Ansammlung karger Lehmhütten. Eine Horde Kinder empfängt uns und versperrt uns laut schreiend den Weg. „Donnez-moi…“(Gib mir eine Münze, einen Kugelschreiber, ein Bonbon,..). Stöcke und Steine schüchtern uns ein. Wir werden regelrecht durch das Dorf gejagt. Kinder zerren an unserm Gepäck und schreien auf uns ein. Trotzdem müssen wir anhalten, um einzukaufen, suchen aber gleich darauf das Weite. Noch lange verfolgen uns die Bengel. Unsere Nerven liegen blank und wir fliehen unter lautem Fluchen.

Der Abend verläuft nachdenklich. In der Ruhe unseres Zeltplatzes wandelt sich unsere Wut in Verständnis.

Wir denken an die alte Frau in ihrer bescheidenen Höhle. Sie ist mit dem Wenigen, das sie hat, zufrieden, und strahlt eine Zufriedenheit aus, um die sie viele Europäer beneiden würden.

Und dann die ärmlichen Dörfer in dieser kargen Landschaft- hier brausen die Touristen in ihren teuren 4x4-Schlitten und ihren blitzenden Motorrädern durch und hinterlassen nur eine dicke Staubwolke. Aus Hochglanzprospekten wählen sie das schnelle Abenteuer und haben keine Zeit für die Sorgen der Leute. Wir geraten hier zwischen die Fronten von Armut und Luxus. Mit unseren gemächlichen Fahrzeugen stellen wir ein ideales Opfer dar, an dem man seinen Frust auslassen kann.

Am nächsten Tag kommen wir durch dieselben kargen Dörfer, dieselben Kinderhorden verfolgen uns, dieselbe Armut, dieselben Steine- nur unsere Einstellung hat sich geändert.  

Gegen Nachmittag erreichen wir die ersten Serpentinen des Tizi-n-Ouano, und lassen den Stress hinter uns. Es zieht ein Wind auf, und wir unsere Jacken zu. Der Wind wirbelt den Staub der Piste auf und weit hinaus über den Abhang. Unsere Fahrräder und unser Gewand, alles ist überzogen von dem feinen, grauen Steinschmirgel. Auf ca. 2700 Meter Höhe verbringen wir eine kalte, aber sehr friedliche Nacht.

GPS und Kompass verraten uns am nächsten Vormittag, dass wir die Passhöhe bei 2950m erreicht haben. Auf der holprigen Piste stellt die Abfahrt keine Erholung dar. Müde und durchgerüttelt erreichen wir Agoudal, wo wir uns in einer Herberge mit Tajine, dem traditionellen Schmortopf, stärken.

Am nächsten Morgen müssen wir noch eine kleine Steigung bezwingen, den Tizi-n-Tirhouzine. Ab dann geht es aber nur noch bergab zur Todhra-Schlucht. Die Piste wird zunehmend besser und so ist es ein Vergnügen, durch das cañonartige Tal zu radeln. Die engste Stelle, Gorges du Todhra, ist eine wenige Meter breite Schneise durch hunderte Meter hohen, senkrechten Fels. Schwer beeindruckt fahren wir hindurch. Wenige Kilometer nach der Schlucht haben wir zum ersten Mal seit vier Tagen wieder Asphalt unter den Reifen. Somit fahren wir recht flott durch das immer breiter werdende Oasental des Todhra.

Zu Mittag erreichen wir Tinerhir und den Endpunkt unseres Abstechers. Am Abend nach einer heißen Dusche in einem gemütlichen Restaurant sind die Strapazen längst vergessen und in Gedanken erleben wir schon unser nächstes Abenteuer. Unser Ziel sind die Dünen des Erg Chebbi.    

Infobox:

Allgemeines: Die landschaftlich lohnende Route bietet bizarre Felsformationen, tiefe Schluchten und zahlreiche einmalige Ausblicke. Wegen der schwierigeren Orientierung durch unmarkierte Seitentäler und der steileren Auffahrt zum Paß ist die Strecke in umgekehrter Richtung nicht empfehlenswert.

Route: Die ersten sechzig Kilometer von Boulmalne durch das Dades Tal nach Msemrir sind asphaltiert. In Msemrir befindet sich eine Polizeistation für Pisteninformationen. Danach folgt eine grobschottrige Piste die nach fünfzig Kilometern den Tizi-n-Ouano (2950m) erreicht. Die nächsten dreißig Kilometer geht es vorwiegend steil und teilweise felsig bergab nach Agoudal. Dieser Abschnitt ist fahrtechnisch sicher der anspruchvollste. Nach einer weiteren Passhöhe, dem Tizi-n-T

irhouzine (2706m) erreicht man vierzig Kilometer später Tamtatouche. Von hier sind es noch zwanzig Kilometer bis zur Gorges du Todhra und ab dort, auf Asphalt, noch zehn Kilometer bis Tinerhir.

Dauer: Vier bis sechs Tage.

Übernachtung: In den erwähnten Ortschaften gibt es Hotels bzw. einfache Herbergen. Wer im Zelt nächtigen will sollte warme Kleidung und einen guten Schlafsack mitbringen.

Reisezeit: Herbst und Frühling

 

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