Ein bißchen Spaß muß sein...

Für den ambitionierten Hobbyradler Ende dreißig gibt's genügend Herausforderungen... Profi-Dilettanten zwischen Lob und Demütigung


Ihre Beine sind glatter rasiert als das Kinn, Laktat verschmähten Sie schon immer als Brotaufstrich und wenn's um Zahnkränze geht, ist da nicht der Gedanke an Ihre Dritten, sondern an den blank geputzten "Elfer". Über dreißig ist für Sie kein Alter, wohl aber ein flotter "Schnitt". Statt 10'000 Mark in Fonds an der Börse arbeiten zu lassen, hängt Ihr Kapital gesplittet an der Kellerwand: Gezogenes Titan mit Hydraulikbremsen auf dicken Gummisohlen und ein dänischer Aluminiumrohrsatz, geerdet mit Hochprofilfelgen und 23 Millimeter schmalen Pneus. Weil Sie jene Bemitleidenswerten, die früher Ihre Freunde waren, bei jeder Ausfahrt am Berg versenken, nennt man Sie im Bekanntenkreis den "Profi." Das schmeichelt, sollte aber zu denken geben. Wahre Radrennfahrer vom Schlage eines Uli Rottler oder Heinrich Trumheller, in deren Windschatten Sie bei diversen Ausfahrten nach 130 Kilometern flotter Gangart schon mehrfach die Bleiente gemimt haben, rufen Sie schlicht "Hobbyfahrer" - und meinen "Dilettant". 

In diesem Spannungsfeld zwischen unverdienter Überhöhung und mit Demütigung bestraftem Übermut zu leben - es ist eine Lust. Egal, ob's regnet, schneit oder die Sonne sich wieder mal versteckt, vom täglichen Ritt auf Mountainbike oder Rennrad kann Sie (selten) nur die mahnende Frage der geduldigen Ehefrau ("schon wieder?") abhalten. Ihren Job sehen Sie nur als lästige Unterbrechung zwischen zwei Ausfahrten, 300, im Sommer schon mal 500 Kilometer pro Woche im Sattel müssen's schon sein. Die abzureißen, ist ein Leichtes, wenn zwischen Ihrem Heim und jenem Ort, an dem Sie Ihr Arbeitgeber gerne täglich sieht, 40 Kilometer Asphalt und zwei hübsche Bergle liegen. Mit einem kleinen Schlenker wird's hin und zurück ein Hunderter. Radfahren - eine Schinderei? Nein, Lebensqualität. Der Körper, dem vor zehn Jahren die treibende Kraft aus reichlich Hefeweizen anzusehen war, dankt die mehr oder weniger heftige tägliche Belastung im Grundlagen- und Kraftausdauerbereich. Statt früher mit 78 Schlägen, pocht Ihr Ruhepuls heute 50-mal in der Minute. Kopfschmerzen, Grippe, Erkältungen? Fehlanzeige. Und, gestehen Sie's, auf dem Rad durchzucken Sie Geistesblitze, von denen Familie und Beruf profitieren. Wird Zeit, dass der Arbeitgeber eine Gesundheitsprämie zahlt. 

Das Radjahr des Profi-Dilettanten, es beginnt im November. In Thermojacke, Neopren-Überschuhe und Gesichtsmaske gehüllt, treibt's ihn auch bei fünf Minusgraden raus - weil das Pedalieren auf der Rolle im Keller so lustig ist wie ein Plattfuß bei Tempo achtzig. Den Christbaum schleppt er auf dem MTB vom Markt nach Hause, an Silvester ist die Zeit der guten Vorsätze gekommen: mehr Kilometer, mehr Leidenschaft, schnellere "Schnitte", bessere Resultate bei (mehr) Rennen sollen's sein. Dass man mit Anfang vierzig eher dem Rentenalter zustrebt als einem Jungbrunnen, wird hartnäckig ignoriert. Drum ist im Frühjahr ein Trainingslager Pflicht. Wenn Martin Schmitt Anfang März zu letzten Höhenflügen abhebt und am Feldberg selbst die Skifahrer schneeblind werden, zieht's den Hobbyradler nach Mallorca. Zum "Einrollen", zwecks Formaufbau. "Urlaub" nennt die Ehefrau, was sich gestandene Familienväter dort in einer Woche antun. Nach sieben Tagen zeigt der Tacho 1100 Kilometer, erzwungen in gruppendynamischem Fahrzwang mit Durchschnittstempo dreißig. Schon mal Seit an Seit mit der x-fachen deutschen Meisterin Hanka Kupfernagel dürfen die Hobbyradler dort pedalieren und sich vom ehemaligen MTB-Bundestrainer Klaus Jördens über frisch geteerte Straßen in den Frühling lotsen lassen. Oder, angetrieben von Uli Rottler, freiwillig das Leiden lernen. Das Villinger Rad-Urgestein jagt, obwohl mittlerweile 46-jährig, bei Kriterien heute noch Zwanzigjährige vor sich her und hetzt auf Mallorca seine "Gruppe eins" am Ende der Königsetappe über den Puig Major nach knapp sieben Stunden im Sattel und zweihundert Kilometern gern mit Tempo 50 ins Ziel. Zurück von Deutschlands Ferieninsel ist der Hobbyradler entweder krank oder so robust, dass er von Heldentaten träumt. Was tun mit der Form? Sind Sie Masochist, ein begnadetes Talent und bringen selbst bei Brechreiz noch die Last von einem Sack Zement als Druck aufs Pedal? Dann lösen Sie eine Lizenz. Sind Sie Realist? Dann vergessen Sie's.  
Die Zahl jener Spätberufenen, die bei harten Straßenrennen nicht regelmäßig im Besenwagen landen oder Cross Country auf dem MTB für Furore sorgen, lässt sich an einer Hand abzählen. Jan Ullrichs beginnen ihre Karriere nicht mit Ende dreißig, sondern als Zehnjährige. Taktik, Kurventechnik, Tempohärte müssen Rennfahrer erlernen wie Lesen und Schreiben. 

Drum bleiben, trotz Ullrich-Boom, im Radsport-Entwicklungsland Deutschland Lizenzrennen einer kleinen Elite vorbehalten. In jeder Stadt gibt's mehr Fußballer als zwischen Lörrach, Offenburg und Singen "richtige" MTB- oder Radrennfahrer. Rund 200 lizenzierte (Straßen-)Amateure, kaum mehr als ein Dutzend Frauen, dazu rund 80 Mountainbiker, jeweils 60 Junioren und jugendliche Tretarbeiter sind in Südbaden registriert. Kaum Zehnjährige für den Rennsport zu begeistern, verlangt Behutsamkeit. Die garantieren rührige Trainer in Merdingen, aber auch auf der rauen Baar beim RC Villingen und RSC Donaueschingen. Um den Nachwuchs auf Stollenreifen zu fördern, hat der Badische Radfahrer- und Motorfahrer-Bund (BRMB) die MTB-Rennserie um den "Kid's Cup" ins Leben gerufen. Sieben bis 13 Jahre alt sind die Kinder, die in bis zu 130 Köpfe zählenden Starterfeldern bei der Fahrt über Stock und Stein erstmals Rennatmosphäre schnuppern.  
Und Sie, den verkannten Profi Ende dreißig, der nach Wettkämpfen lechzt, haben die Rad-Funktionäre einfach vergessen? Gemach, es gibt keinen Grund, Bike und Rennrad vor lauter Frust zu zersägen. Gelegenheiten gibt's reichlich, das Ego hechelnd spazieren zu fahren. Sprinten wie Erik Zabel? Lassen Sie das die Twens versuchen. Weil Sie ein bisschen langsamer, aber je länger desto lieber kurbeln, wartet (theoretisch) von April bis Oktober fast jedes Wochenende eine Herausforderung. "Radmarathon" heißt das Zauberwort, mehr als 70 kraftzehrende Ausdauerprüfungen auf Asphalt mit bis zu 300 Kilometer Streckenlänge hat der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) in seinem Breitensportkalender aufgelistet. Oder Sie rubbeln als Hobbyfahrer bei der MTB-Rennserie um den Schwarzwälder Tälercup durchs Gelände, um sich auf die Mountainbike-Marathons in Kirchzarten und Furtwangen einzustimmen, und kurbeln zwölf Stunden lang rund um Todtnauberg. Alles nicht lang, schwer und hart genug? Dann müssen Sie eine Fähre buchen, um auf dem Rennrad Ihrem Traum vom ultimativen Ausdauerabenteuer näher zu kommen: Trondheim - Oslo, 550 Kilometer binnen 24 Stunden. 

Quelle:
[ www.badische-zeitung.de ]

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