von Jan:
Schon
vor langer Zeit hatte ich geplant, nach dem l. Staatexamen am 21/22.3.90 eine
kleine Radtour zu starten, um das gefürchtete postexaminale Vakuum zu überbrücken.
Da das neue Semester auch schon vor der Tür stand, blieb leider nur eine Woche.
Ich erinnere mich genau, daß an einem der vielen Umzugstage Torsten
mit mir zusammen im VW-Bus Möbel fuhr und ich ihn beiläufig fragte, ob er
nicht Lust hätte, mich zu begleiten. Er hatte sich in der Tat auch schon
Gedanken gemacht, mit mir zu kommen. Ingo stand bei allen Planungen außen vor,
da er sich in der in Frage kommenden Zeit in der heißen Vorbereitungsphase
einer Diplomprüfung befinden würde.
Als
Dritter im Bunde fand sich diesesmal Jan Stapelfeld mit
ein. Er hatte zwar in den letzten Jahren weder ein Fahrrad besessen, geschweige
denn einen Kilometer darauf zurückgelegt, aber er plante ohnehin sich ein neues
Rad zu kaufen und war von der Idee mitzukommen gleich Feuer und Flamme. Ich war
es jedoch weniger, denn zum einem kannte ich ihn eigentlich nicht gut genug, um
einschätzen zu können, wie er sich halten würde, zumal relativ
fahrradtourunerfahren, andererseits ist die berühmte Dreierkonstellation auf
Reisen, die einen auch manchmal an den Rand der Leistungsreserven bringen,
bisweilen ungünstig.
Ich
wirkte also verschärft auf ihn ein, zumindest einige Erfahrungskilometer bis
zum Start der Tour zu fahren, denn sollten auf der Fahrt Leistungsdiskrepanzen
auftreten, so wäre dies sicher für ihn und für uns unschön geworden. Also
"trainierte" Jan einige kleine Strecken und einmal die Etappe
Willinghusen - Lüneburg und retour (120 km) und meldete sich daraufhin als
bereit. Torsten und ich wollten es jedoch bereits am ersten Tag schaffen, von
Hamburg bis Goslar zu gelangen, angespornt auch durch den kürzlich
aufgestellten Rekord meines Kommilitonen Alexander, der an einem Tag 283 km
geradelt war. Jan hatte dabei einige Bedenken, traute sich diese große Distanz
nicht gleich zu, und startete daher bereits einen Tag vor uns nach Lüneburg,
von dort aus am Sonntag nach Celle.
Ich
hatte mich mit Torsten am Sonntag abend um 22.00 Uhr am Geomatikum verabredet.
Er rief mich jedoch gegen 21.00 Uhr an und meldete, daß er noch nicht ganz
fertig sei (ein Referat für die Uni mußte noch fertig gestellt werden...).
Ich fand mich also gegen 22.00 Uhr bei ihm und Ingo ein, und half ihm ein wenig
bei seiner Packerei und Vorbereitung. Zu meinem Entsetzen hatte er jedoch noch
nicht einmal seine Taschen gepackt, und - schlimmer noch - fehlten an seinem
Nishiki Rad die Beleuchtung, die Spritzschützer an Vorder- und Hinterrad. Zur
Krönung wurde der nicht funktionierende vordere Kettenblattwechsler, der
lediglich die kleinen beiden Blätter schalten konnte, immerhin besser, als die
beiden großen...
Mein
Blutdruckanstieg korrelierte eng mit der fortschreitenden Zeit, trotzdem bemühte
ich mich ruhig zu bleiben, denn ich wollte mich nicht gleich am Anfang der Tour
ärgern, zumal ich den Eindruck hatte, daß Torsten die ganze Aktion auch
ziemlich peinlich war. Endlich, kurz nach Mitternacht war er soweit!
Montag,
26.3.1990
Mit
der neuen Kamera meiner Schwester, die sie mir für die Fahrt geliehen hatte,
macht Ingo um 0.15 Uhr das Abschiedsphoto. Wir machen uns auf Richtung Hanstedt.
Dort haben Sandmanns ein kleines Wochenenddomizil, das uns schon im Jahre 1989
bei der Münsterradtour als Dach über dem Kopf gedient hatte. Zum Glück regnet
es auf der ganzen Strecke dorthin nicht, denn es hatte den ganzen gestrigen Tag
geregnet, ich befürchtete schon Schlimmstes... Wir haben uns überlegt einfach
durchzufahren, bis Celle, denn wir hielten drei Stunden Schlaf für relativ
sinnlos. Am Ortsausgang Hamburg/Fleestedt machen wir nach 22 km die erste kleine
Pause und legen eine Gedenkminute ein. Hier haben alle Touren, die wir gemacht
haben (Münster 89, Frankreich 88, Alpen 89) begonnen oder geendet, ein. legendärer
Ort also. Den ich jedoch fast nicht lebend verlasse. Während wir dort stehen
und ein Ballisto knabbern donnert ein riesiger LKW auf mich zu. Ich denke er
sieht mich, fahre vorsichtshalber ein bißchen an, um meine Lampe zu erhellen.
Er kommt jedoch mit recht hoher Geschwindigkeit immer näher und schließlich
stoße ich mich mit dem Füßen ab, um ihm zu entkommen und - zisch - überfährt
er die Stelle, wo ich vor wenigen Sekunden noch gestanden habe.
Ich
bin wie gelähmt, der Laster hält, setzt zurück, touchiert einen Baum und
biegt auf ein Firmengelände. Der echte Schreck setzt erst jetzt ein. Ich
zittere fast! Wir sehen zu, daß wir weiterkommen.
Die Strecke zieht sich doch ganz schön hin. Torsten bleibt immer wieder
einige Meter zurück und macht keinen besonders frischen Eindruck. Er schlägt
dann auch vor, in Hanstedt doch ein paar Stündchen zu schlafen. Ich bin
eigentlich auch ganz froh und so treffen wir nach knapp 50km dort ein. Gegen 3.00 Uhr legen wir uns hin, wollen um 6.00 Uhr
aufstehen und um 7.00 Uhr weiter.
Wir
haben tief geschlafen und sind erstaunlich frisch trotz der kurzen Zeit.
Nach einer Dusche und dem Vertilgen eines Joghurts springen wir wieder
auf die Räder. Das Vorankommen ist jedoch recht zäh. Wir haben Gegenwind -
entgegen der Vorhersage - und außerdem ist an unseren Schutzblechen immer
irgendein Schleifgeräusch, das wir erst nach Stunden vollständig beseitigen können.
Die
Distanz nach Celle ist bereits so lang, daß mir echte Zweifel kommen, ob wir
das bis Goslar heute je schaffen können. Torsten ist einfach besser drauf, als
ich, er bricht den Wind mit unglaublicher Energie, fast als wolle er mich demütigen.
Den Endspurt bis nach Celle hinein gewinne ich jedoch trotzdem knapp!
Die
Jugendherberge finden wir recht schnell und ich entdecke bald Jan in seinem
Zimmer - schlafend. Ein lautes „Yassou“ reißt ihn aus den Träumen. Wir
essen noch ein wenig, Jan holt seine Taschen, wir wollen keine Zeit verlieren,
über 100km sollen noch geschafft werden, jetzt ist es schon 13.00 Uhr.
Der Wind hat mittlerweile gedreht und peitscht uns jetzt fast in den Rücken.
Wir
verlassen Celle nach Süden mit über 30km/h auf dem Tacho. Ein Vergleich zeigt,
daß meiner 30, Torstens 32 und Jans gar 33km/h bei gleicher Geschwindigkeit
anzeigt. Einige Kilometer werden im berühmten Windschattenfahren zurückgelegt.
Eine Methode des Kraftsparens, die Jan erst noch lernen mußte. Er kann auch
kaum an der Spitze fahren, denn auf seinem Mountainbike sitzt er so hoch im
Wind, dass er immer ein paar Kilometer langsamer ist, als wir. Ohnehin ist
ihm das Tempo, das wir - nun endlich warmgelaufen nach 120 km - vorlegen ein
wenig zu schnell. Nach einigen Kilometern erwischt uns ein prasselnder
Hagelschauer und wir flüchten in die Deckung eines Hauses. Ständiges Wechseln
des Capes und der Regenhosen ist nötig, denn wer fährt schon gerne freiwillig
in den luftdichten Sachen weiter, wenn es nicht mehr regnet!? Man schwitzt
ohnehin fürchterlich in diesen Sachen. Ich habe mir ja neulich ein teures
Regencape aus einem atmungsaktiven Stoff geleistet, das sich jetzt bezahlt
macht. Irgendwann wird es wegen des Rückenwindes sogar so warm, daß wir in
unseren halblangen Radfahrhosen weiterfahren können. Aber der Regen kommt nun
in immer kürzeren Abständen wieder und das Klamottenwechseln wird fast nervig.
Ein Blick auf die Karte verrät, daß die Jugendherberge in Wolfenbüttel die
einzig vernünftige Alternative zu Goslar darstellen wurde. Wir bekommen langsam
Zweifel daran, ob wir es bis in den Harz schaffen werden. Die Entscheidung
soll an einer Kreuzung fallen, von der aus wir beide Möglichkeiten noch offen
haben. Die Fahrerei ist ziemlich übel, denn es gibt wieder, wie so oft, kaum
vernünftige Alternativen ohne Umwege, wenn man nicht auf Kraftfahrzeugstraßen
fahren darf. Irgendwann entscheidet der Ältestenrat dann aber doch den Weg nach
Goslar zu riskieren, trotz der bevorstehenden Stunden des Fahrens mit Dynamo.
Kurz nachdem wir diesen Entschluß einstimmig gefaßt haben, hat Torsten ein
Platten am Hinterrad. Im prasselnden Hagel wechseln wir den Schlauch. Zum Glück
habe ich bei der Herbergsmutter in Goslar bereits reserviert, so daß wir uns in
der Hinsicht keine Gedanken machen müssen.
Die
letzten Kilometer werden zur Quälerei. Nicht nur, daß die Kräfte schwinden,
die Straßenführung läßt uns in stockfinsterer Nacht über Schnellstraßen,
Baustellen, Steigungen, Umwege in immer neue Rätsel gelangen. Schließlich
frage ich einen Mann, der in seinem Garten noch arbeitet und endlich sind die
letzten 17 km nach Goslar ah zusehen. Der Tacho arbeitet schon hart in Richtung
250 und meine Pedale scheint ihren Geist noch unbedingt vor der JH aufgeben zu
wollen. Zwei Teile habe ich bereits eingebüßt zu allem Überfluß muß ich
jetzt auch noch die Kette per Hand auf das kleine Blatt legen, die letzte
Steigung vor der Herberge fordert erneut das Letzte und dann endlich um 22.15
Uhr rollen wir auf den Hof. Die Anmeldung klappt schnell, wir suchen noch das Frühstück
aus und schleppen uns dann schnell zur Dusche, die leider nur etwa 30 Grad warmes Wasser produziert.
Das Zimmer hat 20 Betten, aber leider nur eine Heizung, auf der wir
unsere feuchten Klamotten trocknen können. Torsten kontaktet noch mit
zwei leicht dementen aber zu allem bereiten Mädchen aus Hamburg, Jan und ich
kennen jedoch nur noch einen Wunsch! Schlafen...
(250
km)
Dienstag,
27.3.1990
Also,
ich habe ja schon einige Dinge erlebt, in bezug auf spätes Loskommen und so!
Aber diese ganze Aktion war die absolute Härte! Erst gegen 13.00 Uhr (dreizehn)
verlassen wir Goslar. Vorrausgegangen waren zahlreiche Einkäufe. Da wir essenmäßig
ziemlich wenig übereinstimmen muß jeder seinem eigenen Rundgang in jedem Supermarkt selbst erledigen. Hinzu
kommt noch, daß Torsten sein Rad selbst im angeschlossenen Zustand nicht
alleine lassen will. Das kostet natürlich Zeit, zumal er dann immer draußen
auf uns wartet und hinterher dann noch die doppelte Zeit selbst braucht. Außerdem
muß ja jedes Teil des täglichen Salates akribisch aus den hintersten Kisten
des Gemüsestandes hervorgekramt werden, der empfindliche Magen will das so.
Einen
Vorteil hat jedoch das Einkaufen. In einem Sportladen will Jan noch ein Paar
Handschuhe erwerben, bei den herrschenden Temperaturen hatten wir ihm das doch
sehr nahe gelegt. Die Verkäuferin ist äußerst geschwätzig und während Jan
in ihren unendlichen Redesalven bereits mit den Gedanken abschweift und von dem
bevorstehenden Okertal träumt, sieben Torsten und ich sorgfältig die wirklich
guten Informationen, Wir sollen im Ostharz unbedingt das Bodetal
Und
wir sollten Recht behalten... Die Okertalsperre zunächst ist recht
beeindruckend, der Blick schweift weit über die Hänge, aber leider ist es ein
wenig diesig und regnen tut’s auch schon wieder. In Altenau machen wir an
einigen kleinen Geschäften halt und kaufen ein bißchen Verpflegung, sowie eine
unglaublich kitschige Pudelkarte für unseren lieben Ingo. Der Bedienung in der
Bäckerei scheint es eine willkommene Abwechslung zu sein, daß einmal nicht ein
Rentnerehepaar zu ihren Kunden gehört, sondern drei sportliche Typen und sie
beobachtet uns interessiert durch die Scheibe, bis Torsten sie schließlich
fragt, ob sie mit kommen möchte.
Tja,
acht Kilometer, lächerliche acht Kilometer sollten nun nur noch his Torfhaus
folgen. Jan fluchte beim Anblick der sich lang vor uns hinziehenden Kurven im
voraus schon einmal. Wir kreiseln los. Hektischen Schaltvorgängen folgen
knarrende Geräusche. Der erste Gang, bei allen 1:1 übersetzt, ist jetzt
angezeigt. Nach wenigen Minuten haben wir den Sichtkontakt zu Jan verloren.
Torsten fährt auch schon ein Stück voraus. Es ist wichtig, das man seinen
Rhythmus bei solchen strapaziösen Touren selbst findet. Es hat keinen Sinn auf
Jan zu warten oder ein Rennen mit Torsten anzuzetteln, denn das kostet beides
unnötig Kraft.
Ich
gebe zu, daß diese Strecke obwohl in Norddeutschland und nur knapp 500 Höhenmeter
überwindend es in sich hatte. Zumal ab der Hälfte etwa ein dichter Hagel-/Schneeschauer einsetzte und je höher wir kamen, desto mehr Schnee uns beglückte.
Die Schilder der Höhenangabe (400m, 500m, 600m, 700m) waren passiert, als wir
uns entschlossen, auf einem Parkplatz zu warten. Jan war nach ca. 7 Minuten auch
dann da. Inzwischen hatte ich schon zahlreiche Schneeballattacken auf Torsten
gestartet, aber er ließ sich davon nicht begeistern. Die letzten 5 Minuten zur
JH gingen recht flott. Etwas naiv plauderte ich davon, in Torfhaus einkaufen zu
wollen, aber es stellte sich heraus. daß es dort nur einen Souvenirladen gibt.
Auf
Strümpfen schlichen wir zur Anmeldung, im Haus war Straßenschuhverbot. Wir
bekamen ein Zimmer mit drei weiteren Bikern zusammen und orderten erst einmal
riesige Abendbrotmengen. Wie angenehm in einer Herberge vor 18.00 Uhr
anzukommen!
Die
Zimmergenossen stellten sich als sehr witzig heraus. Zum einen zwei Sechszehnjährige,
die mit ihrem Lehrer gewettet hatten, ob sie es schaffen würden an einem Tag
von Hannover bis Torfhaus zu kommen. Einsatz: eine Kiste Cola. Die beiden hatten
alles dabei, was man auf einer Radtour nicht braucht:
einen
Fön, Fressalien bis ins Jahr 2000. sogar einen 33er (!)
Maulschlüssel (geschätztes Gewicht 3,5 Kilo) für das Einstellen des
Lenkradlagers. Nun brauchten sie aber erst einmal drei. Tage zur Rekreation in
der Herberge. Zum ändern Lutz aus
Hainburg, der auf einem Dreigangherrenrad (wovon allerdings nur die ersten
beiden funktionierten...) auch bis hierher gedrungen war. Mit ihm lieferten wir
uns lange Diskussionen um den Sinn und Unsinn von Rad- und Autofahrten.
Das
Abendbrot war gut, weil warm, viel und wohlschmeckend. Ich faßte den Entschluß
Uwe Engel zu informieren, daß ich hier sei. Er ist ein alter Bundeswehrkamerad,
der jetzt in Osterrode wohnt. Vielleicht sollten wir uns nach 3 ½ Jahren mal
wieder sehen?!
Er
kam dann auch. Während ich mit ihm schnackte, spielte Lutz mit den Kleinen
Skat, und die beiden Beaus diskutierten über die schönen Frauen dieser Welt.
(35 km)
Mittwoch
28.3.2000
Ein
weiteres Mal demonstrierten mir Jan und Toddy, wie man die schönsten Stunden
des Tages ungenutzt vorbeiziehen lassen kann. Während ich mein Rad bereits
bepackt hatte, saßen die beiden noch beim ausgiebigen Frühstück, um dann
ihrerseits etwa 2 Stunden für das Fertigwerden zu benötigen. Ich nutze die
Zeit zum Schreiben der Karte an Ingo, um 10.00 Uhr sollte der Briefkasten
geleert werden, mache noch Tagebuchnotizen und fahre einmal in den „Ort“
Torfhaus und genieße die winterliche Landschaft überall. Es steht uns eine
lange Abfahrt über 10km nach Braunlage hinunter bevor. Wir wollen dort noch
reichlich einkaufen, um gut in der DDR über die Runden zu kommen.
Leider erreicht die Straße an keiner Stelle ein ähnliches Gefälle, wie
das, das wir gestern hinaufgeastet sind. Nur 60 km/h Höchstgeschwindigkeit (mit
Treten) sprechen für sich. In Braunlage stopften wir uns dann die Satteltaschen
randvoll. Irgendwie kam jetzt doch ein wenig Spannung auf, denn Grenzüberquerungen
haben für mich immer einen gewissen Reiz, zumal per Rad. Dieser Übergang war
heiß. Eine in den Wald geschlagene Schneise, ein wenige Meter breites Loch im
Zaun und recht freundliche Vopos gaben eine seltsame Atmosphäre. Der eine
Grenzer fragte uns ausgiebig nach eingeführtem Geld und wies ausdrücklich
darauf hin, daß offiziell umgetauschtes Geld eine Menge Ärger ersparen könne.
Die
Straße, die wir jetzt für ca. 4 km befahren, diente bis vor kurzem wohl
allenfalls als Zubringer für die Wachtürme am Zaun. Ein Loch berührt das
andere und wir fahren konzentriert dahin. Noch vor Erreichen des ersten Ortes.
Elend, bemerken wir einen Geruch, der uns nun für mehrere Tage begleiten
wird, Eine Mischung aus Braunkohle und Abgas der Zweitaktermotoren.
Gleich zu Anfang haben wir ein witziges Erlebnis. An einer Steigung fragt
uns ein kleiner Junge, ob wir Werkzeug dabeihätten. Ich hole es heraus und
schraube ihm seine abgefallene Pedale wieder an. Er und, sein Bruder sind auf
dem Weg vom Schulbus nach Hause. Mit großem Interesse betrachten die beiden
unsere Räder. Ihres hat noch nicht einmal eine Gangschaltung. Der eine möchte
unbedingt bei einem von uns mitfahren, Torsten erbarmt sich und die beiden
zischen zusammen den Berg hinauf. Dero Beifahrer macht die Aktion offensichtlich
so viel Spaß, daß er vor Freude vergisst „Stop“ zu rufen und Torsten
bereits mit ihm am Elternhaus vorbeigezogen ist, als sein Bruder plötzlich
ruft. Winkend bleiben die beiden zurück. Auf
der B 27 winden wir uns bei erheblichem Gegenwind Richtung Osten dahin.
Die optischen Eindrücke sind abwechslungsreicher: alles wirkt, als wäre
die Zeit abrupt 30 - 40 Jahre
stehen geblieben. Eine kulissenartige Stimmung, wie beim Betrachten von Märklin
Eisenbahnanlagen überall . Düster, grau, deprimierend, das sind die
zutreffenden Worte, die wir immer wieder gebrauchen. Wir passieren Elbingerode,
Rübeland und Hüttenrode. Dort schießen wir in rauschender Fahrt hinab nach
Treseburg. (Um abzukürzen schieben wir die
Räder einen Berg hinauf, der sich jedoch erst im Laufe des Schiebens als
so gewaltig entpuppt, daß ich mich frage, ob wir nicht doch besser außenrum
gefahren wären... Bestimmt 30 min schieben wir unter dampfenden Schweißausbrüchen
hinauf. Der Blick entschädigt aber doch ein wenig. Es schließt sich eine kilometerlange Strecke durch Wälder
und Wiesen an. Schließlich
gelangen wir mit pfadfinderischen Fähigkeiten an den ominösen Hexentanzplatz.
Dieser ist eine touristische Attraktion, viele Autos und Busse stehen dort
bereits.
Wieder
einmal, wie es uns noch oft passieren wird, spricht uns ein Mann an,
der von unserer Radlerei recht beeindruckt zu sein scheint. Wir berichten
über unsere Route und er rät uns, in Magdeburg am Alten Markt in das
Informationsbüro zu gehen, und nach einer Radwanderkarte vom Elbuferwanderweg
zu fragen. Seinen Wunsch für Rad- und Speichenbruch hören wir gern.
Der Blick über das Bodetal vom Hexentanzplatz aus ist grandios. Jan kann
sich kaum noch losreißen, wir machen ein bißchen Hektik, denn die Dunkelheit
kriecht bald heran, und wir müssen noch bis Wernigerode, Die Fahrt ‚runter
nach Thale ist zügig bis sehr schnell, die vielleicht schönste auf unserer
gesamten Tour, Timmenrode, Blankenburg und schließlich Wernigerode sind schnell
passiert. Lediglich eine Baustelle mit Umleitung müssen wir geschickt umfahren.
Wir
hoffen, daß in der Jugendherberge noch etwas frei ist. Zunächst möchten wir
noch einen Blick in einen der großen Konsummärkte werfen. Es ist kurz vor
sieben Uhr und Jan und ich besorgen noch Brot und ein bißchen Aufschnitt.
Unser Geschäftsmann Stapelfeld ist völlig dreist und spricht ein
Ehepaar an, ob es uns nicht zum Kurs von 3:1. Geld tauschen möchte. Auf diese
Art wird der Einkauf zum billigen Vergnügen. Unglaublich, was der Laden
anbietet, oder besser: nicht anbietet. Das Brot kostet (500g) 62 Ostpfennige,
also schlappe 20 Pf. Ähnlich liegen der Käse, die Milch und das Wasser, das
wir erstehen.
Wir
setzen die Fahrt fort, durch die Fußgängerzone ins Zentrum, fragen dann nach
der JH. die sich in der Leninstraße befindet. Leider ist unsere Nachfrage dort
erfolglos, der Mann in der Anmeldung ruft sogar in der zweiten Herberge vor Ort
an, auch dort Fehlanzeige. Wir verlassen ihn etwas bedrückt. Ich schlage vor,
zunächst einmal in die Agraringenieurschule nebenan zu schauen, wo ich Annett
kenne. Ich habe sie Anfang März auf einer Geburtstagsfeier in Salzwedel kennen
gelernt, sie studiert hier. Sie hatte mir in den Wochen vorher
freundlicherweise Landkarten und Übersichtspläne über JH’s in der DDR
geschickt und ich hatte versprochen, sie zu besuchen.
In ihrem Zimmer ist sie nicht, ich vermute sie beim Sport. Ein Mann kommt
vorbei und führt uns zur Sporthalle. Ich schaue verlegen hinein und ehe ich
mich versehe hat Annett mich schon entdeckt und springt auf uns zu. Sie freut
sich scheinbar sehr. Ich erkläre schnell die Lage, aber sie hat auch keine Möglichkeit
uns zu beherbergen.
Also
verabschieden wir uns erst einmal und stehen etwas ratlos an einer Straßenkreuzung,
als uns ein junger Mann per Rad anspricht. Er ist gleich Feuer und Flamme und
verspricht uns, uns mit zu sich zu nehmen. Er rast wie ein Wahnsinniger vorweg,
wir kommen kaum mit.
Die
Aktion war mir suspekt. Es kam mir alles ein bißchen wie in
Nordafrika vor, wo die Leute auch zunächst sehr hilfsbereit wirken und später
einen bis auf das Hemd ausziehen wollen. Also keimte gewisser Argwohn in mir.
Völlig unnötigerweise, wie sich herausstellen sollte. Frank war in der
Bundesrepublik sehr freundlich empfangen worden, und freute sich anscheinend
nur, es uns „heimzahlen“ zu können. Er hat im Hof seines Grundstückes ein
altes Häuschen, mit drei (Zufall?) Betten. Eine Toilette ist über den Hof zu
erreichen. Was will man mehr? Die Frage nach der Bezahlung läßt ihn locker
abwinken. Wir entschließen uns jedoch sofort, ihm jeder 10 DM für die Nacht zu
geben.
Der
Hunger quält uns schon seit Ewigkeiten und wir finden uns im Ratskeller ein.
Ein Platz ist kaum zu bekommen, aber mit einer gewissen Penetranz ergattern wir
einen Tisch und essen vorzüglich, laden Frank mit. ein. Am Ende werden wir ca.
60 Ostmark zahlen, ein Witz für das Gelage und die vielen Getränke.
Wir
erfahren unglaubliche Dinge über Arbeitsmoral. Bildung und Meinung vieler DDR-Bürger.
Ich verlasse die Drei gegen 22,00 Uhr, um mich noch mit Annett zu treffen. Beim
Gehen treffe ich noch zwei weitere BRD-Biker, die ich an unseren Tisch führe,
auch für sie hat Frank noch zwei Betten über, Annett schlägt vor, ein bißchen
spazieren zu gehen. Wir latschen zwei Stunden durch das wirklich wunderhübsche
Städtchen und reden über alles, was es so gibt, hauptsächlich über Politik.
Wieder erfahre ich Dinge, die man eigentlich wissen muß, um dieses Land und
seine Menschen verstehen zu können. Gegen Mitternacht trennen wir uns wieder an
dem Internat. Jan und
Torsten liegen schon in der Falle, als ich eintreffe. Wir reden noch
angeregt, über die vielen Eindrücke von heute und schlafen dann in unsere
Schlafsäcke gekuschelt tief und fest!
(100
km)
Donnerstag,
29.3.1990
Erst
um 8.30 Uhr wachen wir auf. Es ist eiskalt im Haus, der übliche Dunstschleier
liegt über der Stadt. Wir halten ein regelrechtes Frühstücksmahl mit Joghurt
und allen Schikanen ab und steuern dann zunächst, noch ohne Gepäck, das
Wernigeroder Schloß an. Es liegt sehr hübsch 120 m oberhalb der Stadt. Das
Schloß wurde von 1870 - 1880 umgebaut und ist jetzt das „Feudalmuseum“.
Wir
streichen eine knappe Stunde wohl durch alle Räumlichkeiten und staunen über
Prunk und Ritterutensilien. Nachdem Frank uns noch einmal besucht hatte, er
hatte gerade einmal wieder eine seiner längeren Arbeitspausen..., verließen
wir die wirkliche sehenswerte Stadt Richtung Norden, nach Halberstadt. Hätten
wir gewußt, was für unangenehme Straßenverhältnisse uns erwarten wurden, wären
wir vielleicht gar nicht erst gestartet!? Hinter Halberstadt entschlossen wir
uns die B 81 zu verlassen, denn der nicht abreißende Schwerlastverkehr in
Richtung Magdeburg raubte uns die letzten Nerven. Wir beschlossen über die
kleinen Nebenstrecken zu reisen, auch wenn wir dadurch ein paar Kilometer mehr
fahren würden.
Wirklich
über die Dörfer quälten wir uns von Schwanebeck. Krottorf nach Ochersleben.
Waren zunächst, lediglich die Ortsdurchfahrten grob kopfsteingepflastert, so
setzte bald ein nicht abreißendes solches Pflaster ein. Stunde um Stunde
hoppelten wir auf Straßen, deren Beschaffenheit sich hier wirklich nicht
beschreiben läßt. Man muß dabei gewesen sein. Lediglich eine kleine Rast in
einem Bauerndorf unterbricht dieses Geknalle und Gekrache.
Dort werden wir, als wir uns auf einer Art Dorfplatz niederlassen,
angestarrt wie bunte Kühe. Teilweise scheint es uns sogar, als wurde
sich das Volk zusammenrotten, um uns zu lynchen. Aber es stellt sich heraus, daß
die Menschenmengen lediglich vor einigen Geschäften Schlange stehen. Auf einmal scheint sich die Piste dem Ende zu nähern. Ich
springe ab und posiere für ein Foto, auf dem ich den beginnenden Asphalt küsse,
leider hatte ich übersehen, daß ca. 300 m weiter das Kopfsteinpflaster wieder
beginnt.
Endlich
kommen wir über Wanzleben Magdeburg näher. Das Hineinfahren in die Stadt
gestaltet sich etwas kompliziert, da wir die KFZ-Straße nicht befahren dürfen,
die uns unmittelbar ins Zentrum führen könnte. Wir fragen uns also mühsam
nach der Richtung Jugendherberge durch. Es dauert bestimmt eine Stunde. bis wir
die Suche nach dieser dann aufgeben und vor dem Jugendtouristhotel anhalten. Das
Ding macht einen verflucht noblen Eindruck. Völlig verschwitzt machen Toddy und
ich mich auf den Weg hinein, da wir befunden hatten, noch am gepflegtesten von
uns Dreien auszusehen, da Jans unrasiertes Kinn mittlerweile nicht mehr mit dem
modischen Begriff „Dreitagebart“ in Deckung zu bringen war. Es -ist dann
auch kein Problem ein Zimmer für den stolzen Preis von 24 Westmark für jeden
zu bekommen.
Wir
treten jedoch aus dem Bau mit den Worten zu Jan hinaus, man müsse dort eine
Krawatte vorweisen können, was er uns auch etwa fünf Minuten lang glaubt, bis
es ihm dann doch komisch vorkommt, daß wir unsere Räder bereits absatteln. Es
folgte eine lange und ausgiebige Dusch-, Pflege- und Rekreationsaktion. Wir
stellen fest. daß wir alle merkwürdigerweise eine recht gesunde Gesichtfarbe bekommen
haben. Wir ziehen uns dann allesamt einigermaßen vernünftig an und beschließen
wieder einmal zum Speisen zu gehen.
Zuerst
statten wir jedoch der Magdeburger Frühjahrsmesse einen kurzen Besuch ab. Sie
ist nämlich nur etwa ein Achte] so groß wie der Hamburger Dom und daher recht
unattraktiv. Unsere Wahl fällt auf das Restaurant. Prag, sicherlich eines der
besten Hauser am Platz. Das Essen ist vorzüglich. Jans Cocktail als Vorspeise
und unsere Schweinerückenfilets halten, was der Klang ihrer Namen versprochen
hatte. Dazu gibt es reichlich Getränke und wieder zahlen wir nur ca. 70
Ostmark, sprich vielleicht gut 20 DM für uns alle Drei zusammen für ein
wirklich exklusives Essen. Auf dem Rückweg ins Touristhotel machen wir an der
Rezeption halt und sprechen ein bißchen mit den Damen dort, fragen unter
anderem, was man heute abend denn noch so unternehmen könne. Es wird auf die im
Haus stattfindende Disco verwiesen, in die wir uns dann auch begeben. Es ist
ziemlich voll, die Stimmung ist ausgelassen und es wird heftigst getanzt zu
guter Musik. Während Jan und Torsten die Tanzfläche unsicher machen, betrete
ich eine Veranda und schaue eine Zeitlang hinaus. Es treten außerdem ein Junge
und ein Mädchen hinzu, scheinbar Ostdeutsche. Sie unterhalten sich, ich höre
zu. Plötzlich kommt Torsten hinzu und grüßt mich griechisch „Yassou“ und
fügt einiges griechisches Kauderwelsch hinzu, das ich nach bestem Vermögen
beantworte. Die anderen beiden unterbrechen ihre Unterhaltung und lauschen
gespannt, ihre Ohren, Augen und Münder werden immer größer, bis er schließlich
mit vorsichtigem Englisch fragt: „Excuse me, where do you come from?“
Torsten, nicht dumm, erwidert trocken: „Guess!“ und das lustige Spiel geht
weiter bis wir schließlich schallend lachen müssen und das Rätsel gelöst
ist. Wir reden noch eine Zeitlang mit den beiden. Es handelt sich hier um einen
Schüleraustausch Ost-West. Um 0.00 h ist jedoch die ganze Veranstaltung vorbei
und wir gehen noch einmal zur Rezeption ‚runter. Wir fragen dort, wie man nach
Westdeutschland telefoniert. Dann rufen wir den guten Ingo an, der sicherlich
schon den Kopf randvoll mit physikalischem Spezialwissen hat, Wir haben Glück:
bei diesem Gespräch fällt kein Geld durch und wir können sicherlich eine
Viertelstunde mit ihm klönen. Neben vielen Anekdoten die ausgetauscht werden,
bekommen wir auch eine traurige Nachricht, Jans Oma ist gestern gestorben. Er
versucht, während Toddy und ich schon auf das Zimmer gehen, noch seine Eltern
zu erreichen.
(90
km)
Freitag,
den 30.3.1990
Zum
Frühstück gibt es im Hotel ein kaltes Büfett, das wirklich nicht so schlecht
ist, wie erwartet. Wir nehmen uns auch noch ein paar Brotchen mit, für die
Fahrt. Zunächst aber machen wir noch kurz Stop am Magdeburger Dom, der sehr
imposant ist, und mich irgendwie an die Kathedrale von Sevilla erinnert. Dann
stoßen wir ins Zentrum zum Alten Markt, um dort in der Fremdenverkehrszentrale
die ominöse Beschreibung des Elbuferwanderweges zu ergattern. Aber - wie hätte
es anders sein können - vergriffen ist das Teil. Wir erhalten aber wieder einmal reichliche Tips von
Passanten, die uns ansprechen, um uns einerseits die Bewunderung des Radreisens
mitzuteilen oder um selbst von irgendwelchen Touren - auch vor dem Krieg - in
Westdeutschland zu berichten.
Wir
verlassen Magdeburg in Richtung Norden. Der Wind heute ist schlichtweg fürchterlich.
Ich bin auch irgendwie nicht so gut drauf, wie sonst. Kurz vor Wolmirstedt
passieren wir den Mittellandkanal. Wir nutzen die Gelegenheit zu einer kleinen
Pause. Eine Informationstafel gibt Angaben über den Bau und die technischen
Daten des Kanals.
Ich
schlage den beiden vor, doch einfach umzudrehen, dann mit dem Wind im Rücken
zurück in den Harz zu brettern, um dort noch zwei landschaftlich schönere Tage
zu genießen. Schließlich könnten wir ja auch per Zug zurück nach Hamburg
fahren... Aber die Idee trifft nicht auf fruchtbaren Boden. Ich bin wirklich
ziemlich genervt heute! Der Verkehr, die eklig stinkende Luft, die unglaublich häßliche
Landschaft, die Kälte und der Wind summieren sich so auf,
daß das Radfahren für mich - und das sage ich wirklich nur äußerst
selten - nicht zum spaßbringenden Erlebnis wird. Alles das, was ich sonst am
Radreisen so blumig preisen kann, hat sich heute ins Gegenteil verwandelt. Nun
gut, was soll´s also, da müssen wir heute durch. Ich wundere mich nur, wo Jan
und Torsten ihren Elan hernehmen.
Wir
passieren auf der ganzen Fahrt heute ein großes Truppenübungsgebiet, die
Letzlinger Heide. Überall rechts und links ist militärisches Sperrgebiet, und
wir sehen einige russische Militärtransporter und Streckenposten, denen wir
immer freundlich zuwinken. Meist kommt eine, wenn auch durch eine Phase des Überlegens
verzögerte, freundliche Reaktion. Irgendwo lassen wir uns dann erschöpft zu
einer Mittagspause in den Wald fallen, fühlen uns dabei aber immer beobachtet
und rechnen jederzeit mit einer Kontrolle durch Militärstreifen. Wir essen und
rangeln herum. Torsten bewirft mich schließlich mit einer Bananenschale, wir
spritzen uns mit den Fahrradwasserflaschen voll, werfen uns gegenseitig zu
Boden.
Um
in die avisierte Jugendherberge in Arneburg zu kommen, müssen wir Stendal noch
passieren. Kurz danach fragen wir vorsichtshalber einen entgegenkommenden Radler
nach der JH, ob sie existiert und wie weit es noch sein mag, bis dorthin. Er
tippt auf 17 Kilometer und wir drehen frohen Mutes in den leichten Rückenwind
und genießen die jetzt vom nahezu blauen Himmel strahlende Abendsonne. Mit um
30 Sachen rollen wir dahin, Torsten und ich haben es uns zum Wettbewerb gemacht,
an den Ortsschildern Punkte zu sammeln. Wer als erstes das Schild passiert
bekommt je nach Größe des Ortes Punkte. Am letzten Ortsschild vor Arneburg kam
es zu dem wohl spektakulärstem Rennen. Im Gegensatz zu Torsten erinnere ich
mich nicht mehr an den Namen, ich glaube er hieß Waterloo... Ich hatte bereits
lange vor dem Ort einen langgestreckten
Ein
kleiner Schreck am Abend waren dann noch die beiden gebrochenen Speichen an
meinem Hinterrad, die wohl dem mörderischen Kopfsteinpflaster zum Opfer
gefallen waren. Ich versuchte noch Torsten Zumm in Berlin zu informieren, daß
ich ihn nicht besuchen könnte, aber einen Anschluß zu bekommen war aus der
Telefonzelle unmöglich. Es folgten noch Reparaturen an Jans (Schaltung
einstellen) und meinem Rad (Speichen). Um 6.00 sollte es morgen losgehen, also
waren wir schon früh im Bett.
(90
km)
Samstag,
den 31.3.1990
Das
Aufstehen fand erst um 6.45 Uhr statt, aber dennoch. Im Morgengrauen peitschten
wir uns über kleine Nebenstraßen voran. Alle 5 km übernahm ein anderer die Führungsarbeit,
das hieß immer 10 km ausruhen und 5 km den Wind brechen. Ca. 40 Kilometer mußten
wir zurücklegen, bis wir dann auf der Straße nach Westen abknickten. Auf der B
190 waren es jetzt noch ca. 25 Kilometer bis zum Arendsee, hinter dem wir einen
Grenzübergang ausgesucht hatten. Ohnehin war die Zeit heute total verplant und
knapp. Unser Lebensziel war nämlich das rechtzeitige Ankommen in einem
bundesdeutschen Ort mit Einkaufsmöglichkeit.
Aus unserem Stop in einer Gaststätte am Arendsee wurde nichts, am
Wochenende hatten alle Bauern aus dem anliegenden Heizen und Umgebung die
wenigen Restaurantplätze in Beschlag genommen. Es blieb uns in der Tat nichts
übrig, als eine regelrechte Raserei in Richtung Heimat. Mehrere Fehlschläge mußten
wir verzeichnen, bis wir endlich um 12.45 Uhr, also 15 Minuten vor dem
Ladenschluß am Samstag in einem Örtchen Namens Schweskau einen noch offenen
Edekaladen fanden. Wie die Geier stürzten wir hinein, selbst der sonst so
vorsichtige Torsten ließ sein Rad Rad sein und betrat mit riesigen Schritten
und knurrendem Magen das Geschäft.
Was
dann folgte, ist am besten mit dem Begriff Hamstern zu beschreiben. Wir setzten
jeder innerhalb von Minuten ca. 30 DM um und konnten die Warenmassen kaum in den
Taschen verstauen. Was 4 Tage in der DDR schon bewirken können!
Ich stopfte noch im Hinausgehen eine Tüte Geleebananen, ein Eis, eine Müllermilch
und eine Kiwi in mich hinein, die anderen waren auch nicht die echten Genießer.
Danach suchten wir uns einen Sportplatz als Ruhestätte und nahmen ersteinmal
ein opulentes Mahl zu uns. Die Temperaturen waren mittlerweile richtig angenehm
geworden und so kam es, daß wir uns entschlossen ein wenig Musik zu hören, zu
lesen oder in der Sonne zu dösen. Die Erschöpfung durch das gegen den Wind
Fahren muß enorm gewesen sein, denn erst nach geschlagenen zwei Stunden wachten
wir wieder auf... Die Sonne hatte uns doch arg zugesetzt, die Gesichter glühten.
Nur noch 35 Kilometer waren es bis Hitzacker, bei sommerlich warmen Temperaturen
rollten wir dort ein. Die Herberge lag ein bißchen außerhalb auf einem
spektakulär steilem Berg. Die
geschwätzige Herbergsmutter hatte ein Zimmer in einem ruhigen Block des Hauses
für uns, und noch vor dem Abendbrot duschten wir ausgiebigst. Gleich im Anschluß
an das Essen entschlossen wir uns noch zu einer „über Stock und Stein“
Fahrt an die Elbe runter. Morgen würden wir wieder in Hamburg sein!
(115 km)
Sonntag, den 1.4.1990
Schon
gleich morgens nach dem Aufstehen war es in der Sonne bereits kaum auszuhalten.
Ein herrlicher Tag zum Abschluß der Tour - Radierherz, was willst du mehr? Die
Elbuferstraße ist ja wirklich unerwartet schön. Die Strecke weist trotz
Wassernähe und norddeutscher Tiefebene Steigungen bis 13% auf. Im ständigen
Auf und Ab zischen wir viele Kilometer in kürzester Zeit weg. An einem
Aussichtsturm haben wir einen phantastischen Blick auf die Elbe, beide deutschen
Länder und einen für das Drawehn typischen Rundling. In kürzester Zeit sind
wir schon in Bleckede angekommen, der Wind kommt heute von hinten! Dort befinden
Torsten und ich, daß es sicherlich auch nett wäre, die Fahrt auf der anderen
Elbseite fortzusetzen, zumal eine Fähre hier die Überquerung des Gewässers
ermöglichen soll. Jan ist nicht so begeistert, schließt sich aber dann murrend
an.
Die
Fahrt kostet 2.- und lohnt sich wirklich. Auf der anderen Seite setzen wir die
Fahrt nach der Grenzkontrolle auf einem Deich mit tollen Ausblicken fort.
Immer in geringem Abstand zu dem ehemals elektrischen Zaun schlängelt
sich das Teerband durch eine wunderhübsche, dem Alten Land ähnelnde
Landschaft. Wir stoßen dabei ein wenig ins Landesinnere und fahren dann über
Boizenburg auf der B5 zum Grenzübergang in Lauenburg.
Die
letzten Kilometer Richtung Hamburg beginnen. Kurz hinter Lauenburg machen wir
noch eine lange Pause am Elbstrand. Wir können unsere Köpfe schon kaum noch
der Sonne exponieren, so brennt die heiße Nachmittagssonne auf der Haut.
Eine komische Begebenheit gibt es hier zu berichten. Der Versuch
meinerseits, mit Rückenwind zu spucken, landet zu meinem und besonders zu
seinem Entsetzen auf Jans Oberschenkel. Reaktionsschnell aber spritzt er mich
mit einem 500 g Yoghurt von oben bis unten voll. Das Gelächter dauerte Minuten
lang... Eine melancholische
Stimmung, wie immer am Ende von Reisen begleitet mich auf den letzten
Kilometern. Jan verläßt uns auf der Höhe von Geesthacht, er muß ja nach
Willinghusen fahren. Torsten und ich legen auf den folgenden 50 Kilometern noch
einmal ein Höllentempo hin, und schaffen es, in zwei Stunden nach Hause zu
kommen. Beinahe noch hätten wir Torstens Hinterrad flicken müssen, ständiges
Aufpumpen war aber zum Glück ausreichend. Ich schaue noch kurz mit bei Ingo
‚rein, wir erzählen ein paar Anekdoten, um 18.00 Uhr hin ich wieder in der
Paul-Sorge-Straße angekommen.
(135 km)
Was
hat die eine Woche gebracht? Zunächst einmal 813 Kilometer auf den Tacho.
4 gebrochene Speichen bei mir, zwei Plattfüße bei Torsten. Einzig Jan
hatte außer einer leicht verstellten Schaltung keine Probleme.
In der DDR konnten wir viele Eindrücke gewinnen, die es mir leichter
machen, die Mentalität und das Verhalten unserer Nachbarn zu verstehen. Überhaupt
gingen die Eindrücke weit über die Erlebnisse der Eintagesabstecher hinaus,
die ich bisher sammeln konnte. Mir scheint es zum momentanen Zeitpunkt
unvorstellbar, innerhalb vielerorts geforderter kurzer Zeit aus diesen beiden,
ehemals zusammengehörenden Ländern, wieder eines zu machen. Zu groß
erscheinen mir die Diskrepanzen in allen Belangen der Technik, der Umwelt, der
Menschen überhaupt. Hier müssen Wunder geschehen, wenn je alle mit dem Ausgang
des Wiedervereinigungsprozesses zufrieden sein wollen und sollen.
Die Idee von einem vierwöchigen Sommerurlaub per Rad in der DDR scheint
derzeit beigelegt, zumindest von meiner Seite. Die Straßenverhältnisse und der
grauenhafte Zustand der Atemluft lassen mich mit Entsetzen an einen längeren
Aufenthalt per Rad dort denken. Eventuell eine weitere Woche im Südosten der
Republik oder an der Ostsee bzw. an der Mecklenburgischen Seenplatte wären in
meinen Augen sinnvoll.
Meine
Beifahrer haben sich gut gehalten. Von Torsten hatte ich nichts anderes
erwartet, ich kenne ja seine Zähigkeit zur Genüge, die mindestens so ausgeprägt
ist, wie seine Unfähigkeit zu planen. Jan hat mich überrascht. hatten wir doch gemunkelt, er würde nach zweihundert
Kilometern tot vom Satte! kippen,
so war seine Ausdauer, besonders zum Ende der Fahrt hin, beachtenswert.
Immerhin
seine erste große Tour ohne besonders ausgiebiges tägliches Alltagstraining.
Auch in „ideologischer“ Hinsicht war aus dem „schrecklichen“ Autofahrer
in kürzester Zeit ein „echter Biker“ geworden, der genauso über rücksichtslose
und falschparkende Autofahrer fluchen konnte, wie wir. Von seinen anderen
erworbenen Fähigkeiten ganz zu schweigen.
Eine
runde Sache alles in allem, an die wir uns sicher später gerne zurückerinnern
und um dieses leichter und vielleicht genauer tun zu können, habe ich den
Bericht geschrieben - und für Ingo...
Hamburg,
den 13. Mai 1990
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