Radreise nach Norwegen vom 5.8. - 12.8.1990 

Ein Bericht von Jan:

TourenverlaufSo schnell wie diese Tour hatte ich wohl noch nie eine Reise geplant und begonnen - aber auch noch nie eine so schnell und ungeplant beendet... Am 22.7. hatte ich beim abendlichen Sinnieren und als Folge eines Telefonates mit Ingo beschlossen, in diesem Jahr nicht wie geplant nach Griechenland zu reisen, sondern den Wunsch des Zieles lieber dem des gemeinsamen Reisens unterzuordnen. Ich beschloß Torsten Zumm in Berlin anzurufen und ihm den Vorschlag zu unterbreiten, eine gemeinsame Tour in die Alpenregion oder in den Norden Frankreichs oder Italiens zu unternehmen. Seine Begeisterung hielt sich jedoch in Grenzen, denn er hatte bereits eigene Routen vor Stellungen, wollte er doch in diesem Jahr unbedingt einen Start von der Haustür ab durchführen, die letzt jährige Grenzöffnung machte es ja möglich, nach fast 30 Jahren. Ich schlug ihm vor, den gemeinsamen Trip zu durchdenken und sich nach einer darüber geschlafenen Nacht erneut zu melden.

Am übernächsten Abend rief er mich erneut an, um mir mitzuteilen, daß er seine geplante Norddeutschlandtour unbedingt durchführen wolle, die Planungen seien bereits fortgeschritten und die von mir vorgeschlagene Reise könne ihn wegen der weiten und per Rad nicht möglichen Anreise nicht reizen.

Peng! Das schlug ein wie eine Bombe. Aber so leicht gab ich mich nicht geschlagen und versuchte nun ein gemeinsames Ziel zu finden, das unseren beiden Ansprüchen genügen würde. Nach einiger Rätselei und dem Verwerfen von Irland, Schottland und Ungarn hatten wir endlich eine gemeinsame Idee: Norwegen!

Am darauffolgenden Wochenende kam Torsten mit dem Auto aus Berlin zu Besuch, und wir begannen unsere Urlaubsplanungen, nachdem ein jeder in den verstrichenen letzten Tagen Erkundigungen über das Land eingeholt hatte. Außer einem Telefonat mit dem norwegischen Fremdenverkehrsamt und Gesprächen mit zwei Ex-Norwegen-Radlern, hatte ich intensiv probiert eine Vorstellung von diesem mir noch nahezu unbekannten Land zu bekommen.

Die Planungen ergaben folgenden Reiseverlauf: Torsten startet zwei Tage vor seinem Eintreffen in Hamburg in Berlin, holt mich hier ab, gemeinsam fahren wir nach Kiel und von dort dann mit der Fähre nach Oslo. 

Am Samstagabend, den 4.8.90 traf Torsten in Hamburg ein...

Sonntag, 5.8.1990

Auszug der Helden...Um 4.30 h klingelt nach einer ziemlich kurzen Nacht der Wecker. Kurze Zeit später schon ist Ingo da, der uns in alter Tradition zum Hamburger Ortsschild begleiten möchte. Es ist noch sehr warm, die 22 Grad sind Resultat der extrem heißen letzten Woche. Gleich nach dem Losfahren schon schleift Torstens Hinterradbremse und nun bereits zum etwa 10. Mal bereut er, mit seinem Bridgestone-Reiserad und nicht, wie im letzten Jahr, mit dem Giant-Mountain-Bike unterwegs zu sein.

Am Ortsschild macht Ingo mit defektem Blitz die obligaten Fotos und wir trennen uns von ihm. Ich bin mit dem Fahrverhalten meines neuen Rades überhaupt nicht zufrieden: unerklärliche Resonanzen im Vorderrad, die auch schon bei den gestrigen Probefahrten aufgetreten waren, machen ein normales Geradeausfahren nahezu unmöglich. Ich entschließe mich, die Lenkradtasche abzunehmen und sie auf dem Gepäckträger zu verstauen. Das durch die vielen Lebensmittel (ca. 12 kg) hohe Gewicht des beladenen Rades scheint Tribut zu zollen. Trotzdem bin ich etwas enttäuscht vom Verhalten dieses immerhin neuen und recht teuren Fahrrades.

Wir machen insgesamt drei längere Stops auf den knapp 90 Kilometern nach Kiel. Nach dem ersten Halt bemerken wir eine deutliche Abkühlung der Luft, obwohl inzwischen die Sonne weit oberhalb des Horizontes angelangt ist. Wir müssen uns doch etwas wärmer anziehen. Über Bad Bramstdt und Neumünster erreichen wir gegen 11.15 Uhr endlich den Oslokai in Kiel.

Da wir noch keine Tickets gekauft haben, sie wurden lediglich vorbestellt, fahren wir zunächst zum Terminal der Jahre-Linie, um die reservierten Karten zu bezahlen. An langen Autoschlangen vorbei gleiten wir zu dem weißen Gebäude. Davor steht schon ein Biker, ebenfalls vollbepackt mit Low-Ridern, einen rennradähnlichen Gefährt und mit Radrennklamotten. Während ich im Inneren das finanzielle regele, nimmt Torsten schon Kontakt auf. Der Typ kommt aus Stuttgart, ist ebenfalls heute per Rad aus Hamburg gekommen und will eventuell bis zum Nordkap - er hat sieben Wochen Zeit.

Ich rufe kurz zuhause an, um unsere Ankunft mitzuteilen, wir frühstücken nochmals in einem nahegelegenen Park und warten auf die angeblich 90minütig verspätete Ankunft der Fähre. Gegen 13.15 läuft die weiße Prinzessin Ragnhild dann auch ein.

Inzwischen sind zwei weitere Radler gesichtet worden. Ein mittelalter Herr auf Bianchi ATB sowie ein Typ in unserem Alter, in Begleitung seiner Eltern, die ihn offensichtlich gebracht haben. Er fährt ein Dawes ATB mit STI . Torsten bemerkt kennerhaft, daß das keine Schaltung für ein Reiserad wäre, denn das Positionieren könne man nicht abstellen. Zwei Fußgänger haben derweil Kontakt aufgenommen und berichten angeregt über eigene Touren in Norwegen. Sie meinen, man könne keine speziellen Tips für bestimmte Routen geben, es sei eigentlich alles schön! Gegen 14.00 Uhr wird die Auffahrt zum Schiff freigegeben. Wir rollen als erstes mit den Motorrädern auf den riesigen Rumpf zu. Seitlich der folgenden Automassen warten wir im einsetzenden Regen auf die Verladung. Kaum einer der Autofahrer, der nicht mit interessierten Blicken unsere Gefährte beäugt. Schließlich verlangt ein Mann unsere Bordkarten und läßt uns passieren. Nun, solcherlei Karte für das Rad haben Torsten und ich im Gegensatz zu den anderen nicht, und daß obwohl ich extra noch einmal am Counter der Gesellschaft nachgefragt hatte. Wir fahren jedoch versuchshalber zunächst einfach auf das Schiff. Es geht ein Stockwerk tiefer, wo wir an einer Wand Plätze für Motor- und Fahrräder zugewiesen bekommen. Wir schließen alle Bikes zusammen und schleppen die unhandlichen Taschenmengen nach oben, drei steile Treppen hoch. Nur um dann festzustellen, daß unsere Kabinen auf demselben Niveau wie das Autodeck liegen...

Beim Betreten der Kabine ( Nr. 628) trifft uns der Schlag. Es sind schon zwei Herren darin, aber weniger das, als der noch für uns verbleibende Platz erschrecken uns. Es ist ein Loch und der unverhältnismäßig hohe Preis von 210.- DM pro Person scheint weniger denn je gerechtfertigt zu sein. Wir schieben schnell die ungeheure Zahl unserer Taschen unter ein Bett, hören, dass die Herren einer Münchener Busreisegruppe angehören und melden uns zügig in Richtung Deck ab, bewaffnet mit den Kameras.

Wir erkunden das Schiff, treffen alle Biker wieder und beginnen weitere Gespräche, beobachten das Ablegen und sitzen dann an Deck im Windschatten des Schornsteines.

Unser zukünftiger Begleiter RalfNach einer Mahlzeit in der Kabine verlassen wir diese schnell wieder und erleben an Deck den aufreissenden Himmel und die wärmende Kraft der Sonnenstrahlen. 19 Stunden Schiffahrt liegen vor uns, freudige Erwartung in uns. Gegen Abend folgt ein Besuch in der Bar, Torsten hat mich und den Stuttgarter (er heißt Ralf) zu einem Drink auf unsere beschlossene gemeinsame Weiterfahrt eingeladen. Wir haben schon eine grobe Routenplanung eingeleitet, so wollen wir Oslo am morgigen Tage recht zügig verlassen, in Richtung Nordwesten zunächst, um als fernes Ziel die Gebirgs- und Fjordwelt Zentralnorwegens besuchen zu können.

Nach einem erfolglosen Besuch im überteuerten Duty-Free-Shop und einer Dusche im öffentlichen WC gehen Zummi und ich um 22.00 Uhr zu Bett. Einen Gespräch mit dem älteren der beiden Männer über Reisen und Norwegen folgt Tiefschlaf. (88 km)

Montag, 6.8.1990

Die Nacht war wider Erwarten ruhig, nur Torsten klagte über einige stürmische Wellenbewegungen gegen Mitternacht. Ich springe nach dem Rasieren schnell an Deck, um mir einen Eindruck vom feucht vom Regen der Nacht. Wir befinden uns bereits im Oslofjord, der sich über etwa 100 km vom Skagerrak bis zur Hauptstadt erstreckt, überall sind kleine Inseln, vom Ufer leuchten die typisch rot gefärbten Holzhäuser.

Zunächst frühstücken wir unsere klassische Radtourmahlzeit: Müsli, Milch, Obst, Yoghurt. Danach begeben wir uns wieder an Deck, langsam reißt die Wolkendecke auf und die wärmenden Sonnenstrahlen bereiten uns einen schönen

Empfang in Norwegen. Die Ankunft verschiebt sich ebenfalls um 90 Minuten, so daß wir erst gegen 10.30 Uhr in das Autodeck hinabsteigen. Die Fahrräder werden sorgfältig gepackt. Ich hatte versucht einige schwere Teile aus den Low-Ridern nach hinten zu verlagern, um die Lenkradtasche wieder montieren zu können. Schon verlassen wir das Schiff über eine steile Rampe und passieren problemlos den Zoll. Am Hafenausgang schauen wir ziemlich verzweifelt auf unsere Karten. Alle Wege scheinen auf der Autobahn zu enden. Schließlich erscheint ein weiterer Biker, ein mittelalter Herr, und gibt uns den entscheidenden Tip zum Verlassen der Stadt. Wir. d.h. Torsten, Ralf und ich schließen uns an, derweil die anderen beiden sich zum Stadtzentrum aufmachen. Wir irren über recht passable aber teilweise schlecht beschilderte Wege Richtung Drammen und Sandvika. Nach über einer Stunde trennen wir uns in Sandvika: der Mann will heute noch ca. 100 km zurücklegen und Bekannte im Südwesten besuchen.

Wir tauschen Geld, kaufen Karten und Lebensmittel. Torsten wird zu seinem Entsetzen von einer Wespe gestochen - er hat doch eine Wespengiftallergie. Aber die sofort eingeleitete Cortisontherapie lässt lediglich einen geröteten  und geschwollenen Oberschenkel entstehen. Hier beginnt endlich die Straße unserer Wünsche, die E 68, auf der wir wenig Verkehr erwarten. Aber wir haben uns wohl getäuscht... eng an uns vorbei donnern Lastwagen. Mein Vorderrad tanzt schon wieder, erneut verlagere ich die Lenkertasche nach hinten. Der Streckenverlauf ist schon jetzt an einigen Stellen immens steil. Torsten fällt an den Steigungen immer schnell zurück - wo ist sein Training? Wir passieren einen langen Stau, ein brennender Saab hatte den Verkehr lahmgelegt. Wie ärgerlich, daß wir alle Autos zunächst passiert haben, und sie jetzt wieder an uns vorbei lärmen.

Immer in Sichtweite: der TiryfjordNach 18 km ist jedoch diese Straße endlich bezwungen und wir biegen ah auf eine kleinere Kreisstraße (285), auf der wir die kommenden 40 km bleiben sollten. Wir umrunden auf dieser Route den Tyrifjord. Die Strecke führt mehr oder weniger nah am Wasser entlang und bietet schöne Ausblicke. Fast schon hätten wir uns bereits nach 60 Kilometern Fahrt für einen Zeltplatz entschieden, aber ein Verbotsschild wies unmißverständlich daraufhin, daß es sich wohl um einen öffentlichen Badeplatz handelte. In der nächsten Stunde blicken wir verschärft um uns, wer hätte gedacht, daß es so schwer sein könnte, einen guten Zeltplatz zu finden? Aber alle bisherigen Stellen sind steinig oder zu klein oder geneigt. Endlich erblicken wir direkt am Wasser einen herrlichen Platz. Wenige Kilometer sind es nur noch bis Vikersund.

Umschwärmt von Mücken machen wir uns an den ersten Zeltaufbau des Urlaubs. Keine zehn Minuten vergehen bis zum Stehen beider Exemplare. Stark autanisiert genießen wir unter herrlichem Abendhimmel das Abendbrot. Uns fällt das intensive, helle Licht selbst noch zu dieser späten Stunde auf. Ralf und ich beschließen - unter entsetzten Blicken von Torsten - im See zu baden.

Das Wasser ist herrlich warm und die Seife der Jahre-Line erfrischt zusätzlich. Endlich wieder in warme Klamotten geschlüpft, läßt auch unser Kleiner" die Hüllen fallen und genießt die Erfrischung.

Wenig später kommt ein norwegischer Vater mit Hund und Kindern ebenfalls zum Baden ans Wasser. Wir kommen ins Gespräch. Er spricht Deutsch und so kann er uns einige Auskünfte über Wetter, Sprache und Route geben. Er empfiehlt zwei Routen ganz besonders und nennt sie "speziell": einerseits die Strecke der alten Bergenbahn von Haugastol nach Myrdal und von dort hinab nach Flam. Eine alte Zubringerstrecke entlang der Bahnlinie kann heutzutage per Rad befahren werden. Sein zweiter Tip ist eine Route durch das Jostetal entlang des Jotunheimen-Naturparks. Dieses Tal soll erst in den Dreißiger Jahren zugänglich geworden sein und dementsprechend unverdorben geblieben sein. Wir nehmen die Ideen dankbar an und beginnen bald in meinem Radwanderführer die Bergenbahnstrecke nachzulesen. Der Entschluß ist bald gefaßt diese beiden Streckentips aufzunehmen und zu befahren. Mit einem wärmenden Tee in den Händen aus Ralfs Kocher schnacken wir noch eine Zeit und gehen gegen 22.00 Uhr im Hellen zu Bett. (75 km)

Dienstag, 7.8.1990

Wir wachen auf vom Prasseln des Regens auf dem Zelt und liegen eine Ewigkeit herum, warten auf das Ende des Regens. Endlich scheint es sich ein bißchen zu beruhigen, am Horizont reißt die Wolkendecke auf. Wir lassen das Zelt zunächst noch stehen, um es trocknen zu lassen. Nach dem Frühstück (die beiden lästern immerzu über meine riesigen Essenvorräte...) müssen wir das leider doch klitschnasse Zelt zusammenrollen. Ralfs neues Zelt, er hat es anläßlich dieser Reise erst gekauft, ist noch ausgezeichnet imprägniert, er kann es nach heftigem Abklopfen trocken verstauen. Überhaupt überrascht der Mann aus "Stuagat" heute und in den folgenden Tagen damit, daß er immer schon fertig gepackte Taschen aus seinem Zelt hervorzaubert, während ich und der ohnehin etwas langsamere Zumm immer noch beim Sortieren sind. Aber die trügerische Ruhe in Ralfs Zelt, suggeriert durch einem oftmals im 'letzten Moment erst geöffneten Reißverschluß, täuscht: völlig unbemerkt hat der Kerl so immer schon gefrühstückt, Kaffee gekocht und seinen Abmarsch vorbereitet.

Wir verlassen unseren Schlafplatz und geraten sofort in einen immer heftiger werdenden Schauer. Während die beiden anderen sich unterstellen und sofort ihre Regencapes heraussuchen, fahre ich noch ein Stück weiter, um dann aber selbst in einem Heuschober Unterschlupf zu finden. Ich warte auf die beiden, aber keiner kommt. Schließlich fahre ich ihnen entgegen, es tröpfelt nur noch.

Sie beharren darauf, in den Capes zu fahren, ziehen diese aber nach wenigen Minuten wieder aus. In Vikersund tätigen wir noch einen kleinen Einkauf, Mr. Geldbeutel – wie Torsten von Ralf wegen seines geregelten Einkommens und seines permanenten JH-Unterkunftswunsches genannt wird - spendiert uns ein norwegisches Mars, das  jedoch schon mindestens 3 Jahre in dem Laden gelegen hat, der Zucker ist bereits auskristallisiert. Die Strecke verläuft Richtung Kröderen durch ein recht einsames Gelände, das uns beständig an die weitläufigen Wälder Kanadas oder Schwedens erinnert. Wir sind für wenige Kilometer zu einem Abstecher auf die B 7 gezwungen. Es sollte ein Test sein, ob sich das ewige Auf- und Ab der Nebenstrecken vermeiden ließe. Realistischerweise sind wir aber einstimmig der Meinung, daß das Fahren

dort zwar zügiger sein könnte, der Verkehr ist jedoch bestialisch, so daß wir das Pflaster schnell verlassen. In Nore biegen wir ab auf die Mautstraße zum Norefjell. Beim Passieren einer Brücke passiert mir etwas Ungewöhnliches: da das Lichtzeichen auf unsere Brückenseite rot war, beschließen wir den schmalen Fußgängerweg zu befahren. Leider ist dieser nur wenig breiter, als meine Low- Rider-Taschen und ich bleibe einmal damit hängen und stürze leicht. Der Lenker ist ein wenig nach links verdreht und ich muß nach der Brücke erst einmal mit dem 6er Imbus arbeiten. Apropos 6er Imbus - Ralf stellt bei der Aktion fest, daß er einen solchen im Notfall gar nicht dabei gehabt hätte...Der erste Defekt! Eine höllische Steigung beginnt, im Verlaufe derer ich den ersten Platten trotz Kevlareinlagen bekomme. Verwundert flicke ich, um festzustellen, daß der Fehler beim Einlegen des Schlauches in den Mantel lag, er ist um 360 Grad verdreht an einer Stelle, dort ist auch das dadurch geriebene Loch zu finden.Wir schrauben uns um mindestens 500 Höhenmeter hinauf, zum Norefjel], einem im Winter beliebten Skigebiet. Dort endet die ohnehin eher schlechte Asphaltdecke in einer klassischen nordafrikanischen Wellblechpiste. Wir trauen unseren Augen nicht, denn nach Eggedal sind es bestimmt noch 15 Kilometer. Augen zu und los kann es nur heißen. Fluchend, fast verzweifelnd kämpfen wir uns durch anstrengenstes Gelände. Ich hatte ehrlich erwartet, daß hier Ralfs letztes Stündlein schlagen wurde. Seine 22/25er Bereifung sah ich schon achstief im Sand verschwinden, aber er belehrte uns eines Besseren. Eher war es Torsten, der auf seinen 32er Schwalbe Marathon Breitreifen den Anschluß an die wedelnde, driftende, staubende Gruppe verlor. Nach glücklicherweise schon 10 Kilometern taucht das Asphaltband wieder auf, das Ralf sogleich zu küssen beginnt. Nach dem und während den Bezwingen(s) dieser Strecke keimte immer wieder die Frage in uns auf. ob es denn überhaupt ratsam wäre, die Bergenbahnroute zu versuchen, denn dort warteten ja immerhin 90 Kilometer auf uns, die keiner von uns unter diesen Bedingungen gerne fahren wollte.

Irgendwie waren wir alle darauf fixiert, daß nun ein ebener Streckenabschnitt beginnen würde, aber die 287 schlängelte sich schon wieder bergauf. Zitat Zumm "Ich fall' gleich in den Graben!" gibt gut unseren physischen Zustand wieder. Unerhört kräftezehrend ist die Radlerei in Norwegen, scheint mir. Wo sonst 100 - 150 Kilometer von mir bewältigt werden, war auf dieser Tour bisher schon bei 80 Kilometern Schluß. Aber den anderen beiden ging es genauso, und Ralf beerdigte seine Nordkappläne langsam aber sicher.

Komische Menschen diese Radfahrer...Wieder wird die Quartiersuche schwierig, alle Plätze sind zu klein für zwei Zelte. Unter einem herrlichen Wasserfall schließlich entdecken Torsten und Ralf einen akzeptablen Platz. Die Wiese liegt unterhalb eines Hauses direkt an einem kleinen Bächlein. Wir legen einen Zettel auf die Veranda, mit der Bitte uns die Wiese zu überlassen, da kein Lebewesen erreichbar scheint.

Wieder fressen uns die Mücken fast auf, wir essen lange und große Mengen, suchen eine adäquate "Toilette". Ralf und ich überwinden uns nach langen Überredenskünsten meinerseits erneut, zum Bad im wirklich eiskalten Wasser. Trotzdem ist das Frischegefühl danach durch nichts zu ersetzen! Wieder recht früh sind wir heute abend im Sack. (85 km)

Mittwoch, 8.8.1990

Erneut wache ich vom Geräusch des Regens auf. Als erster bin ich dieses mal aus den Zelten heraus und wundere mich über die deutlich geringere Temperatur heute morgen. Der Regen hat nachgelassen, die Sonne beginnt zuerst unser Zelt zu trocknen. Wiedereinmal haben wir beim Aufstellen nicht auf die Himmelsrichtung geachtet und so wird es einige Zeit dauern, bis Ralfs Zoll: ins Licht wandert.

Gerade wollen wir nach dem Frühstück einpacken, da macht ein heftiger Schauer alles wieder zunichte! Also, wieder ein nasses Zelt verstauen...

Wir erreichen langsam den bisher höchsten Punkt unserer Reise, ein Hochplateau von 960m Höhe, kurz hinter Haglebu. Endlich kommt auch einmal eine der langersehnten Abfahrten. Da wir in Oslo auf Meeresniveau gestartet sind, mußten wir uns praktisch erst einmal in das norwegische Hochland hineinarbeiten, also ist das Gefühl des ständigen Berganfahrens ein nicht nur subjektives, sondern aufgrund der in drei Tagen erklommenen 2500 Höhenmeter (Ralfs Cyclomastertacho berechnet auch das!) völlig objektivierbar.

typische SzenerieWir erreichen wieder die B 7 und legen eine Sprintetappe ein. Alle 3 Kilometer übernehmen Ralf und ich wechselseitig die Führung und wir peitschen trotz des Gegenwindes zügig voran. Nesbyen heißt unser Nahziel, nur 11 Kilometer voraus. Endlich dort angekommen fühlen wir uns an den Rand eines amerikanischen Highways versetzt. Wie eine Satelliten- oder Trabantenstadt wirkt der Ort, völlig geplant, deplaziert und künstlich liegt er dar. Vor dem Supermarkt stehen zwei Räder, ATBs, ohne Low-Rider, aber dennoch reichlichst beladen, 12-Gang Übersetzungen, ein Damen- und ein Herrenrad. Wir stellen uns dazu. froh wieder einmal mit Bikern schnacken zu können.

Zuerst nähert sich das Mädchen, sie kommen aus dem Schwarzwald, "Gelbfießler", der Kenner weiß Bescheid... Und während wir über Route usw. reden, nähert sich die zweite Person, ebenfalls ein Mädel!

Nachdem wir unsere Einkäufe erledigt haben, beschließen wir ein großes gemeinsames Mittagessen zu veranstalten. Im großen Kreise schmeckt es doppelt so gut. Ich bekomme noch einen hervorragenden Tip: es gibt eine Fährverbindung von Bergen über Stavanger nach Esbjerg! Ich notiere mir aus dem Prospekt den Birgit und Patricia dabeihaben, wann genau die Abfahrtszeiten sind. Nicht nur die Linie an sich, vielmehr die Preise sind überaus interessant, nur ca. 90 DM für einen Pullmannsitz bei einer Abfahrt von Sonntag auf Montag. Auch für Torsten ist die Route eine echte Alternative, denn eine Rückfahrt bis Oslo wird damit nicht mehr zwingend notwendig! Ralf hatte ja bereits Hin- und Rückfahrt zusammen gebucht.

Die Mädchen wollen in "10 Tagen in Bergen sein und vom 19. auf den 20. nach Esbjerg übersetzen. Überhaupt sind die beiden zwei fröhliche Naturen, auch wenn unsereins sie kaum versteht (...), ihre Route deckt sich auf den folgenden -150 km mit der unseren, warum nicht eine Etappe zusammenfahren? Die beiden sind zuerst etwas skeptisch, glauben wir wurden ihnen davoneilen, aber es klappt eigentlich gut mit dem Fahren. Wir fahren jetzt genau Richtung Westen, wieder einmal bergauf. Ralf und ich sind immer ein bißchen voraus und machen dann eine längere Pause, um uns dann von Zummi und den Mädels einholen zu lassen. Endlich gelangen wir an den Tunnhovdfjord, den Platz wo wir ein gemeinsames Quartier angepeilt hatten.

Die Vegetation hat sich ziemlich verändert unterwegs, tundrahaft ist der flache harte Laubbewuchs des steinigen Bodens, ein Zelt kann man dort nicht postieren. Ziemlich ausgelaugt suchen wir bestimmt eine Stunde an einer Seitenpiste nach Möglichkeiten, schließlich gelangen wir zur Hauptstraße zurück.

Plötzlich waren es 5!Das intensive Suchen der Badenerinnen hat schließlich Erfolg, sie fragen bei einem älteren Ehepaar, ob wir uns auf deren kleiner Wiese vor dem Haus niederlassen dürfen. OK - in Windeseile sind drei Zelte emporgewachsen, das Kuppel zeit der beiden ist recht groß, hat aber leider auch kein Vorzelt, das Gepäck muß mit hinein. Zwei Bänke und ein Holztisch stehen wie bestellt herum, wir dürfen sie auch nutzen.

Es folgt wieder eine der großen Fressorgien, die Mädchen kochen dreigängig, u.a. Milchreis, wir stopfen reihenweise Brote in uns hinein. Sogar eine Toilette hat das Häuschen im Garten, auch die steht uns frei! Fehlt nur noch das Bad, das Ralf und ich bei sieben Grad Außentemperatur im ca. 10 Grad kalten See nehmen. Danach huschen wir schnell in die Zelte.(70 km)

Donnerstag 9.8.1990

Eine grabeskalte Nacht! Ich bin als erster auf und lege zunächst mein noch vom gestrigen Abend feuchtes Handtuch in die Sonne. Ein bei ein werden alle wach und wir beginnen nach einem geeigneten Platz in der Sonne für ein gemeinsames Frühstück Ausschau zu halten. Unter dem ständigen Gekicher der Gastgeberin versuchen wir in Ruhe zu speisen, aber die gute Frau nervt heute direkt ein wenig mit ihrem Gesabbel.

Herrlich einsame RouteGegen 10.30 Uhr sind wir fertig mit dem Packen und verlassen diesen schönen Zeltplatz. Die Mädchen haben uns unmißverständlich klar gemacht, daß sie nun ohne uns fahren werden, denn unsere Etappenvorstellung sei ihnen etwas zu groß. Ich war ohnehin überrascht über die Leistungsfähigkeit der beiden, denn mit den Übersetzungen waren sie ohnehin im Nachteil. Sie haben gestern wirklich super mitgehalten. Wahrscheinlich war Zummi das Tempo der beiden sehr viel angenehmer, als das was Ralf und ich beständig vorlegten!?

Wir trennen uns also zunächst. Meine Prophezeiung, daß wir uns sicher noch einige Male sehen werden, quittieren die Damen mit einem müden Abwinken – wir seien doch viel schneller.

Aber schon nach ca. einer Stunde, wir (Ralf und ich) warteten gerade auf das Auftauchen von Torsten, überholen uns die Mädchen wieder. Torsten sei an einem Bächlein gerade beim Waschen. Wir beschließen mit ihnen zusammen zuerst bis zum Abzweig auf die B 7 zu fahren, von dort sind es nur noch 15 Kilometer bis nach Flam, unserem ersten Nahziel heute. Wir erreichen den Abzweig recht schnell und warten dort noch einige Minuten auf Torsten.

Als dieser kommt, sagen die Mädels, daß unsere endgültige Trennung nun wohl bevorstehe, sie wollten eine kleine Müslipause einlegen. Wir fahren weiter. Torsten fällt gleich wieder zurück und Ralf und ich kämpfen uns heftig über eine ausgeschilderte 7%ige Steigung auf ein herrliches Hochplateau hinauf, wo wir einen kleinen Fotostop einlegen. Am Horizont taucht nun bereits ein großes Gebirgsmassiv auf, das schneebedeckt aus der Ferne leuchtet. Es ist der Hallingskarvetrücken, der bis auf über 1900 Meter an mehreren Stellen ansteigt. Im Tal davor liegen Geilo und Haugastol, der Ort, den wir heute noch erreichen möchten. Die Abfahrt von über 1030 m auf 700 m hinab bringt einen neuen Geschwindigkeitsrekord von fast 70 km/h und wir schießen minutenlang hinab, in immer wärmere, angenehmere Luftschichten. In Geilo entdeckt Ralf sofort einen Supermarkt, zu dem wir gleich durchstoßen.

Gut überlegt sollen die Einkäufe in Norwegen sein, denn hier kann man einiges Geld sparen. Etwas unüberlegt hatte ich mir vor einigen Tagen eine 0,33 l Dose Fanta gekauft und dafür 12 NOK (= mehr als 3.-) bezahlt. Überall schaue ich nach den Sonderangeboten, dem Billigsten. Sei es beim Obst (Bananen), bei den Keksen (Oslo Marie...) oder bei den Getränken, die ich ohnehin meist stehen lasse, das Aldi Quench ist noch in großen Mengen da! Ralf läßt bei jedem Einkauf locker über 100 NOK, ohne seinem Verlangen echt nachzugeben. Wir versuchen noch einige Gaskartuschen zu erwerben, aber es gibt nur die großen, für die Ralfs Kocher nicht kompatibel ist. Irgendwann kommt Torsten winkend eingefahren. Während er kauft, gebe ich noch ein bißchen Druck an der Tankstelle auf meine Reifen und Ralf entdeckt einige Bänke, an denen wir uns mit ihm verabreden.

Die Mahlzeit dort wird gekrönt von Torstens Nugatti Nußnougatcreme-, die, zwischen die Oslo Marie Kekse gelegt, vorzüglich mundet. Es ist heiß in der Sonne, aber der kalte Wind erinnert immer wieder an unser Urlaubsland.

Irgendwann kurven auch Birgit und Patricia herein. Wir essen zusammen und klönen, bis ich mich entschließe zu telefonieren und vielleicht eine Norwegermütze zu kaufen. Ich verabrede mich mit Torsten und Ralf am Supermarkt. Das Telefonat mit dem Eltern ist irrsinnig teuer, ich erreiche sie in Niederohe (meine Mutter ist am Zeh operiert worden!). Ich plane erst wieder am 15.8. anzurufen, denn Telefonzellen sind recht schwer zu finden in diesem Land. Als ich herauskomme ist Ralf schon da. Er versucht derweil noch einen anderen Sportladen wegen der Kartuschen zu finden, als ich die beiden Mädels schon in Richtung Haugastol aufbrechen sehe. Ralf kommt zurück - aber von Zumm keine Spur! Ich vermute ihn bei den Mädchen, aber wir warten noch ein wenig, bis wir versuchen ihnen im Höllentempo zu folgen.

Die Strecke geht wie immer nur bergauf. Wir kleben in einer Baustelle fast am neuen Asphalt fest. Aber so schnell wir auch fahren, die drei anderen können wir nicht erblicken. Der Krisenrat beschließt auf halber Strecke nach Haugastol eine Pause zu machen. Wir werfen uns mit den Isomatten an den Straßenrand und warten, schlafen, lesen mehr als eine Stunde. Schließlich vermuten wir Torsten schon in Haugastol und reißen die letzten 11 Kilometer in einem unglaublichen Spurt ab. Wieder Fehlanzeige, kein Berliner weit und breit.

Wir warten wieder eine halbe Stunde und beschließen letztlich einem in Gegenrichtung fahrenden deutschen Camper anzuhalten. Es kommt - besser noch - ein Radier des Weges. So schnell, daß wir ihn kaum halten können, ein Amerikaner anscheinend. Er läßt sich kurz die Lage erklären, wir bitten ihn Torsten von unserem Standort zu berichten und er zieht von dannen. Wenig später halten wir ein Duisburger Wohnmobil, aus Richtung Geilo kommend- an. In wenigen Minuten schon, meinen sie, wurde Torsten kommen und wirklich, am Berg dort oben sehen wir ihn kleben. Er hatte tatsächlich mit den Mädchen länger als eine Stunde auf uns gewartet.

Die Mädchen hatten sich nur hei der Tourist Information einen Prospekt geholt - wer soll das ahnen. Nun ja, glücklich vereint fahren wir einige hundert Meter weiter und gelangen an ein Motel, vor dem zwei bepackte Räder stehen. Wir reden kurz mit dem älteren holländischen Ehepaar, sie zeigen uns den Beginn der Bergenbahnstrecke, geben einige Tips, berichten schon wie der Amerikaner vorhin von einer "scenic route, but tough to ride!". Wir ahnen Schlimmes, aber die ersten Kilometer sind recht vernünftig zu befahren. Wir schauen nach einem Zeltplatz und werden bald fündig. In der Nähe eines Kuhstalles ist eine große Wiese am Bach. Wir hängen unseren obligaten Zettel an eine naheliegende Hütte und rodeln ah. Sofort sind Muckenmassen um uns herum. Wir beschließen noch zu baden, solange die Sonne wenigstens einige wärmende Strahlen schicken kann. Das Wasser hat höchstens 10 Grad, die Luft vielleicht 5! Wir huschen schnell in die warmen Klamotten, reiben uns mit Autan ein und essen. Völlig verfroren kriechen wir in die Zelte. Mit ungutem Gefühl haben wir bemerkt, daß die Kühe auf die Wiese, auf der wir schlafen, zurückgetrieben wurden. Wir hoffen ohne Kuh im Zelt zu erwachen.

Plötzlich eine Stimme am Zelt. Die Bäuerin ist mit dem Zettel in der Hand gekommen, um uns zu sagen, daß sie den Schuppen morgen früh ausspült, und sie empfiehlt uns in perfektem Englisch, das Trinkwasser vor 9.00 Uhr zu entnehmen. Ich schalte schnell und bitte sie um einen Liter Milch in der Früh. Kein Problem! Gute Nacht! (70 km)

Freitag, 10.8.1990

Aufwärmen nach der kalten NachtMir scheint, es wird jede Nacht ein paar Grad kälter! Wir sind beim Erwachen fast am Boden festgefroren. Das liegt sicher auch daran, daß wir uns schon nahe 1000 m Höhe befinden. Ich stehe auf und mache den obligatorischen Fotogang des Morgens. Ich sehe in der Ferne schon die Bäuerin wirken. Ich beschließe wegen der Milch zu ihr zu gehen. Sie sitzt vor dem Kuhstall und trinkt in der Sonne sitzend einen Kaffee. Ich geselle mich dazu und sie lässt mich einen Becher "füll milk", noch euterwarm, testen. Wir reden über Land und Leute. Ich frage sie nach dem Grund für ihr gutes Englisch und sie berichtet in den Vereinigten Staaten geboren zu sein. Auf dem Rückweg beginnt dann das erste Übel dieses Tages, der sicherlich einer der unangenehmsten meines Lebens bleiben wird. Ich trete in einen riesigen, frischen Kuhfladen, der mir Schuhe, Socken und Hose vollspritzt. Etwas verärgert mache ich mich. zum Zelt zurückgekehrt, an die Reinigung. Inzwischen sind die beiden anderen Schläfer auch schon wach und wir frühstücken gemeinsam. In der Sonne sitzend wird die frische Milch von Torsten und mir zum Müsli gegeben. Unsere Abfahrt zieht sich heute ein bißchen hin, denn zuerst Torsten, der den leeren Behälter fortbringt und dann auch Ralf, der einen Kaffee ausgegeben bekommt, beginnen eine kleine Unterhaltung mit der Norwegerin.

Wir fiebern alle dem Aufbruch entgegen, denn heute wartet sicherlich einer der Höhepunkte deHardangarviddar Reise auf uns. Die Überquerung des Hardangervidda-Hochplateus wird nicht nur in Reiseführern als extrem reizvoll beschrieben. Viele andere Stimmen waren ebenfalls nur positiv. Zudem haben wir heute echtes Kaiserwetter heute: strahlend blauer Himmel und zwischen 5 und 30 Grad. Aber in der Sonne ist es doch so warm, daß einer Fahrt in kurzen Hosen nichts im Wege steht.

Mehrere Fotostops einlegend, legend wir die ersten Kilometer zurück. Die Strecke wird eigentlich immer schlechter. In gewissen Abständen kommt uns die Bahn aus Bergen entgegen oder überholt uns. Wir verlieren den Kontakt zueinander. Ralf und Torsten bleiben weit zurück. Ich beschließe nach 10 Kilometern den ersten Stop zu machen. Eine Stunde hat es bis hier gedauert. Der Weg steigt beständig und ist mit Steinen und Geröll bedeckt – kein einfaches Fahren auf den schmalen Reifen. Plötzlich ist Ralf schon da und wir fahren noch ein Stückchen zusammen, bevor eine Pause gemacht wird. Die Landschaft ist bizarr, Hochgebirge in seiner Urform. Schneebedeckte Gipfel spiegeln sich in klaren, extrem glatten Bergseen. Wasserfalle rauschen herab, vereinzelt stehen die berühmten norwegischen Hütten.

Falsche Reifenbreite...Einige andere Radier sind unterwegs, bis zum nächsten Stop begegnen mir oder überhole ich wenigstens zehn. Einige Abschnitte der Route sind wirklich heikel, bis zu kindskopfgroße Steine liegen herum, an Unterführungen der Bahnstrecke ist die Steigung manchmal so extrem, daß ich kurze Stücke schieben muß. Ich überhole drei norwegische Mädchen und frage, ob sie wußten, wie weit es noch bis Finse sei. Sie haben 1:20000er Karten und können den Streckenverlauf genau nachvollziehen. Noch etwa 4 Kilometer. Wieder holt Ralf mich ein und wir preschen gemeinsam hinein nach Finse, Der Ort liegt 1222 m hoch. hat ein Hotel und eine Bahnstation. Ein Hubschrauber fliegt knatternd einige große Frachtstücke davon. Die ganze Stimmung ist sehr seltsam.

Wir haben das Gefühl, das Nordkap bereits erreicht zu haben. Das Ende der Welt kann nicht einsamer sein. Birgit und Patricia hatten erzählt, daß angeblich die Strecke zwischen Finse und Hallingskeid durch Schneeverwehungen schlecht passierbar sein soll. Ich frage also eine große norwegische Fahrradgruppe, die in Richtung Norden aufbrechen will, nach dem Wegeszustand. Der eine Junge meint, es sei zu bewältigen. Gut, wir kaufen ein, warten auf Torsten. Er ist schwer genervt, der schlechte Weg macht ihm zu schaffen, während Ralf und ich durch die längere Pause schon wieder etwas Abstand zu dem nervigen Gefahre bekommen haben. Zumm will per Bahn weiter, wir reden es ihm aus.

Es ist wirklich ein bißchen schade, daß man beim Fahren stets konzentriert nach vorne unten schauen muß. denn ein kleiner Fahrfehler kann schon einen Sturz bedeuten. Aber nach einem gemeinsamen Essen sieht die Welt schon wieder viel freundlicher aus.

Erste SchneefelderWir brechen auf. bereits wenige hundert Meter hinter Finne fahren wir durch einen zwei Meter hohen Schneetunnel. Hätten wir gewußt, was auf uns warten würde, darüber waren wir uns alle hinterher einig, so hätten wir den Zug genommen. Es folgten fast drei Stunden des Kletterns. Schiebens, Fluchens.

Selten legten wir mehr als 500 m fahrend am Stück zurück. Recht bald hatten wir die norwegische Gruppe eingeholt, zum Glück konnten wir in ihren Spuren im Schnee besser schieben. Irgendwann, um den mit über 1300 m höchstens Punkt der Strecke herum, trafen wir ein deutsches Päarchen, das uns seinerseits bedeutete, daß das Ende von ihrer Seite kaum abzusehen sei. Ich war höllisch wütend: der Schnee kroch überall hin, machte ein Schalten nicht mehr möglich. Krachend rutschte die Kette über die Ritzel, die Bremsen taten wirklich nichts mehr. überall waren die kleinen Steine des Untergrundes hingespritzt. Mehrere Male mußte ein gemeinsamer Urschrei die in uns aufgestaute Wut ablassen. Die Szenerie wurde indes immer unglaublicher. Gletscherblaue Seen leuchten aus den Schnee- und Eisresten der letzten beiden sehr harten Winter. Im glasklaren Wasser schwimmen Reste von Eisschollen, teils ober-, teils völlig unterhalb der Wasseroberfläche.

Endlich haben wir nach einer langen Abfahrt anscheinend die Höhe erreicht, von der ab wir nicht mehr mit den ständigen Schneefeldern rechnen müssen. Wir fahren uns die ganze Wut über die schwierige Strecke aus dem Leih und schießen talwärts.

Bei einem kurzen Stop - drei Schafe sind auf dem Weg - will ich einen neuen Film einlegen, aber der Transport ist offensichtlich defekt. Wie ärgerlich, jetzt gleich zu Beginn des Urlaubes so ein Schaden! Neun Jahre hat mir die Minolta unter extremsten Einsatzbedingungen nie den Dienst versagt, und jetzt das.

Die Landschaft indes weiß sich noch weiter zu steigern. Ein mittlerweile recht breiter, wilder Gebirgsbach schießt in mehreren Krümmungen über eine  kleine Fallstufe an uns vorbei. Gischt spritzt und es ist infernalisch laut. Herrliche Fotomotive, eigentlich...  

Steil ist das Gefälle, wir sehen weit unter uns mehrere Seen, die Bergwände steigen abrupt links und rechts auf. wir dringen in das Flamstal ein. Am See entlang geht es weiter, kurz vor Myrdal treffen wir ein norwegisches Ehepaar, ebenfalls per Rad, allerdings ohne Schaltung und andere Extras. Wir reden Wo ist das Mountainbike?lange Englisch, bis sie merken, daß wir Deutsche sind und auf hervorragendes Deutsch umschalten. Sie berichten, sie seien aufgrund des anhaltend guten Wetters recht kurzfristig zu dieser Tour gestartet. Die Strecke Finse - Hallingskeid hatten auch sie per Bahn bezwungen. Sie haben ein Hotel in Flam vorbestellt. Gemeinsam machen wir uns an den letzten, fordernden Abstieg nach El am. Die Strecke erinnert mich an Wanderungen in den ausgetrockneten Flußbetten auf den Kykladen vor zwei Jahren. Ständiges Bremsen führt fast zu Krämpfen in der Hand. Endlich scheint auch das letzte Hindernis genommen zu sein. Glatt liegt der Weg vor uns, nur ein sanftes Gefälle hat er noch.

Wir sind sicher seit einer Stunde schon wieder auf der Suche nach einem Zeltplatz gewesen, aber das Gelände ist steinig. Außerdem denke ich mit kalten Gedanken an unsere letzten Nächte zurück und schlage vor bis nach Flam zu  fahren, denn der Ort liegt auf 44 m u.d.M., so daß es dort sicher 10 Grad mehr hat. als auf der Hardangervidda!

Abenteuerliche PisteEinen herrlichen, wenn auch anstrengenden Tag- in Gedanken passieren lassend sause ich mit 30 - 40 km/h dahin. Plötzlich sehe ich kurz vor mir eine Holzbrücke, mit in Fahrtrichtung verlegten Holzplanken. Die Zeit zum Reagieren ist knapp, denn schon bin ich mit den Reifen in eine der 2-3 cm breiten Rinnen gerutscht und ehe ich mich versehe dreht das Vorderrad sich quer und ich werde vom Sattel geschleudert. Dann fehlen in meiner Erinnerung einige Geschehnisse.

Ich komme zu mir, auf der Straße hockend, halte den widerlich schmerzenden  rechten Arm. Ich blute an einigen Stellen. Ralf kommt fluchend, er konnte mir gerade noch ausweichen. Das Fahrrad scheint arg lädiert. Ralf greift das Vorderrad und tritt zunächst die riesige Acht heraus. Auch Torsten und das ältere Paar sind derweil eingetroffen. Sie rätseln über eine Möglichkeit das Rad reparieren zu lassen. Keiner scheint in diesem Moment zu wissen, was ich schon seit Ewigkeiten weiß: die Norwegenreise endet für mich in jedem Fall hier. denn ich weiß, daß ich mir das Schlüsselbein gebrochen habe. Die Bewegungsunfähigkeit in der rechten Schulter ist ein klares Indiz. Der Transport zu einem Arzt wird organisiert. Bei einem nahestehenden Haus haben die anderen ein Auto entdeckt.Das Ende der Tour!

Torsten und Ralf beraten. Sie werden heute nacht hier campen und morgen früh dann mit der Fähre ein Stück in Richtung der Stadt fahren, die restlichen Kilometer per Rad zurücklegen. Das Taxi kommt, auch das Rad wird verladen. Ich muß links hinter dem Fahrer sitzen, die Schulter schmerzt auf dem Beifahrersitz zu sehr.

Die Fahrt über den 1300 m hohen Bergrücken, der zwischen Aurland und Laerdal liegt, ist in der untergehenden Sonne großartig. Ich rede mit dem Fahrer, er ist ein freundlicher Typ. In einer seiner Erzählungen finde ich das Motto einer Norwegentour. Er meint: "I usually spend my holiday in Norway, cause Norway has everything the United States have!" Ich muß mich derweil einmal wieder übergeben. Es wird mir immer deutlicher, daß ich auch eine Gehirnerschütterung erlitten haben muß.

Nach einer knappen Stunde bin ich da. Ein junger Arzt begrüßt mich, während der Taxifahrer das Gepäck entlädt. Die Fahrt war ein teurer Spaß: 587 NOK muß ich berappen, ca. 150.-DM also. Der junge Kollege, PJ-Student, untersucht mich kurz, telefoniert mit seinem Senior Doctor, und nimmt mich dann auf der Chirurgie auf. Meine Wunden werden versorgt, ich werde an ein automatisches Blutdruck- und Pulskontrollgerät angeschlossen und bekomme ein Analgetikum i.m.. Mit einem ziemlich dicken, wirren Kopf schlafe ich ein. (61 km)

Samstag, 11.8.1990

So ein Tag im Krankenhaus kann ziemlich lang und nervig sein. Gegen 6.00 Uhr bereits kommt ein Pfleger zum Blutabnehmen. dann 3 Stunden warten bis zum Eintreffen des Oberarztes, eines schwedischen Vertretungsarztes. Er untersucht mich, klärt mich über die Risiken der Commotio auf und macht mir nach dem Duschen einen provisorischen Rucksackverband. Mir geht es ziemlich beschissen.

Ich muß mich übergehen, habe absolut keinen Appetit, mir ist schwindelig, so schlecht ging es mir sicherlich selten. Ich werde auf ein anderes Zimmer verleg, zu einem weiteren Deutschen, einem praktischen Arzt aus Freiburg. Der arme Mann hat sich vierfach das linke Bein gebrochen, als er beim Wandern in einer Wurzel hängen blieb und stürzte. Wir können uns aber zum Glück mit Unterhaltungen den Tag versüßen. Seine Frau und drei der vier Kinder besuchen ihn regelmäßig. Torsten und Ralf wollen gegen Mittag kommen, sie treffen allerdings erst gegen 15.00 Uhr ein, da sie noch eine Fjordfahrt gemacht haben. Gut so, sie lassen sich den Urlaub nicht durch mich vermiesen! Ich rufe zu Hause an und melde den Unfall, berichte über meine Ansicht am morgigen Tage per Bus/Schiff nach Hamburg zu kommen, aber wir einigen uns, daß es wohl schneller und besser sei, zu fliegen.

Die Mühlen laufen an und eine sehr freundliche, famulierende Medizinstudentin leitet telefonisch alles in die Wege: Taxi zum Flughafen, Flug Sogndal – Oslo, Oslo - Hamburg.

Torsten und Ralf empfehle ich zu duschen, in den Patientenduschen. Außerdem erwirkt der Freiburger Udo Barsch, daß die beiden sogar ein Abendbrot bekommen. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen zum Packen. Die beiden lauschen noch interessiert den schaurig schönen Geschichten des in schillernden Farben von Patienten und Heilungserfolgen berichtenden Udos. Mir ist der lange Besuch schon beinahe zu viel, mein Kopf dröhnt noch immer, und als die beiden mich verlassen muß ich mich schon wieder übergeben. Mit Freude auf die morgige Heimkehr schlafe ich ein.

Sonntag, 12.8.1990

Entsetzen beim Aufwachen! Ich fühle mich immer noch richtig schlecht, kann kaum länger als fünf Minuten auf den Beinen sein, dann dreht sich schon wieder alles. Bei der Visite empfiehlt der Oberarzt mir nicht heute zu fahren. Ich sei absolut nicht reisetauglich und er könne keine Verantwortung übernehmen - „a cerebral bleeding could kill me." Von meinem Entschluß kann mich jedoch nichts abbringen. Zum einen ist die Frage der Versicherung und der Kostenübernahme nicht geklärt, andererseits erwarte ich sehnsüchtig die Beurteilung der Hamburger Chirurgen zu der Bruchstelle und der Dislokation der Knochenenden. Und schließlich möchte ich nur gerne nach Hause, denn der Blick in den Fjord hinaus aus dem Zimmerfenster ist in Anbetracht meiner körperlichen Verfassung ziemlich gemein. Ich muß also unterschreiben, daß ich das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat und auf eigene Verantwortung verlasse.

Mit Ralf packe ich die Taschen, tausche Adressen mit dem Freiburger Arzt und warte auf das Taxi. Torsten und Ralf fahren schon bis zur Fährte vor. Schon die Fahrt mit der Taxe ist die Hölle. Der Arm schmerzt, mir ist speiübel. Zu allem Überfluß der Preis: 650 NOK = 170.-DM. Die Szenerie ist wieder spektakulär, ich könnte heulen, daß ich nicht weiterfahren kann.

Torsten erwirkt beim Taxifahrer, daß dieser ihn bis zum Flughafen mitnimmt und wieder zurück zum Fähranleger in Kaupanger. Abschied von Ralf, kurz, schmerzlos, ich könnte schon wieder heulen.

Good luck! Die Straße windet sich auf über 1000 m hinauf - wenn die beiden mich per Rad begleitet hätten, wären sie vor Abflug sicher nicht am Flughafen angekommen... Wir wollen am einzigen Schalter der Abflughalle einchecken, aber noch ist es nicht so weit, andere Flüge werden zunächst aufgerufen.

Der Taxifahrer schaut nervös zur Uhr, um 16.00 h fährt, die Fähre zurück. Wir müssen uns trennen. Genau eine Woche sind wir zu diesem Zeitpunkt zusammen unterwegs. Schaffen wir irgendwann einmal eine längere Tour zusammen?

Ich döse in der Halle vor mich hin, bis es mir endlich gelingt das Gepäck aufzugeben. Zum Glück gibt es keine Probleme mit dem Fahrrad und den insgesamt mehr als 25 kg-. Mir ist immer noch unglaublich schlecht. Ich beschließe einen Berliner zu essen, vielleicht geht es mir mit vollem Magen besser?

Endlich wird der Flug aufgerufen, es ist 16.50 Uhr, als wir zur kleinen Propellermaschine über das Rollfeld gehen. Mit etwas Verspätung heben wir ab.

Von den nun folgenden Stunden, beide Flüge eingeschlossen, will ich der Einfachheit halber nur berichten, daß sie im wesentlichen daraus bestanden, daß ich unter schärfster Selbstbeherrschung probierte, mich nicht zu übergeben. Für die Blicke aus dem Fenster auf herrlichste Panoramen Norwegen und des norddeutschen Flachlandes hatte ich keine Zeit. Den Anschlußflug auf dem Osloer Flughafen habe ich nur um drei Minuten verfehlt, da ich noch ein Ticket organisieren mußte und mich auf dem Gelände völlig verlaufen habe. Mit schwindelndem Kopf, hängendem Arm und im Lauf schritt kam ich schwitzend an Gate 37 an und rutschte kurz vor dem Start in die Maschine.

Bei der Landung in Hamburg waren es noch 26 Grad, ein herrlicher Sommerabend, 19.50 Uhr Ankunft, meine Eltern und meine Schwester Julia sind da, dürfen den Ankunftsbereich betreten und mir beim Tragen helfen. Ein seltsamer Korso schleicht durch die Halle, Mama humpelt, mein Arm hängt schlaff herab und Papa schleppt das völlig kaputte Fahrrad. Kommentar eines Fluggastes: "Bist wohl den Geiranger runtergefallen?"

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