Maratona dles Dolomites

30.Juni 2002

Ein Bericht von Heinzi.

Die Vorgeschichte 

Jan am GrödnerjochDie Idee an diesem Alpenradmarathon teilzunehmen, stammte von Jan. Sofort war ich von diesem Unternehmen begeistert. Die Vorgabe 147 km durch die spektakulären Dolomiten zu radeln, dabei 7 Pässe zu überqueren und über 4000 Höhenmeter zu sammeln war  eine Herausforderung. Das Zeitlimit von 10 Stunden einzuhalten, schien nicht unlösbar. Und: es trainiert sich einfacher mit einem Ziel.

So schraubte ich schon im Winter mein Trainingspensum hoch, nahm mir als direkte Vorbereitung die Nordcup-Marathonserie in Schleswig Holstein vor, die Ende April beginnen sollte.

Die erste Kraftausdauer in diesem Jahr, holten Jan und ich uns auf einer einwöchigen Marokko-Tour Ende Januar.

Schon im März hatte ich eine gute Form. Im selben Monat radelte ich mit meinem Reiserad, Zelt und Schlafsack im Gepäck, in 10 Tagen über 1000 km durch  Andalusien.

Als endlich die Rennradsaison begann, hatte ich bereits über 5000 km in den Beinen. Der Dolomiti konnte kommen. Ich träumte von einem 20 er Schnitt und mit Jan in den Dolomiten vielleicht mithalten zu können, der immer eine Klasse besser fährt als ich.

Aber leider sollte alles anders kommen.

 

Eine weitere Vorgeschichte 

Es war im Mai, sechs Wochen vorm Dolomiti, als ich mir bei einer RTF das rechte Knie durch Überlastung verletzte. Es folgte eine vierwöchige Trainingspause, in der die Beschwerden nur sehr langsam besser wurden. Ich war völlig entmutigt, von 5 geplanten Schleswig-Holstein-Radmarathons fuhr ich letztendlich nur Einen (vor der Knieverletzung). Mein Traum wurde nun unrealistisch. Ja, selbst die Dolomiti-Teilnahme zog ich nun in Zweifel.

 

Die Anreise 

Zwei Wochen vorm Dolomiti fuhren Claudia und ich trotzdem Richtung Alpen, denn wir hatten Urlaub, und der sollte dieses Jahr in Italien stattfinden.  Für 4 Tage blieben wir im Ostallgäu auf einem Campingplatz am Forggensee, das Wetter war herrlich mit 30 Grad und Sonne satt. Vorsichtig fuhr ich in diesen Tagen einige km mit dem Rennrad oder mit Claudia auf unserem Tandem. Die Beschwerden hielten sich in Grenzen, aber mehr als ein bis zwei Stunden  zu radeln war noch nicht drin.

Auf dem weiteren Weg nach Süden hielten wir in Sterzing, ich wollte für einen ersten Belastungstest den Jaufenpass und wenn es gut ging auch noch am nächsten Tag das Penser Joch fahren.

Der Jaufenpass ging gut, das weiterhin heiße und sonnige Wetter tat meinem Knie gut. Ich brauchte für die 1000 Hm 1,5 Stunden. Ich war zufrieden.

Am nächsten Tag ging es auf das Penser Joch. Ein schwerer Pass, lang und steil, mit 1200 Hm. Doch diesmal tat das Knie weh, leider aber das andere. Sicherlich durch die Mehrbelastung, um das kranke Knie zu schonen.

Trotzdem wurde ich jetzt wieder zuversichtlicher, am Dolomiti doch teilnehmen zu können. Und wenn es nur die kurze Strecke mit 57 km und 1700 Hm werden sollte. Dieses Spektakel wollte ich mir doch nicht unbedingt entgehen lassen.

Die folgende Woche verbrachten wir im Etschtal am Kalterer See in der Nähe von Bozen. Auf einem überfüllten Campingplatz direkt am See, hatten wir bei schönstem Sommerwetter wunderbare Tage. Der See hatte 26 Grad, die Umgebung, mit ihren Weinhängen und weitverzweigten Radwanderwegen, war wie geschaffen zum gemütlichen Radeln. Für einen weiteren Belastungstest bot sich der Mendelpass an, den ich gleich zweimal hinauf fuhr.

  

Die Dolomiten 

Schon am Donnerstag nachmittag, also vier Tage vorm Dolomiti, trafen wir uns mit Jan und Meike mit ihren zwei Kindern auf dem Campingplatz Sass Dlacia in der Nähe von St. Kassian. Als wir auf den Platz rollten, war Jan gerade von einer Ausfahrt über den Valparaola-, und Campolongopass zurück. Er faselte etwas von schlechter Form und dass er ständig von anderen Radlern überholt wurde.

Kurz vor einem sich nahenden Gewitter fuhr ich am Abend ebenfalls den Valparaolapass hinauf und gleich wieder runter.

Mittlerweile waren auch Reinhard, Nadja und Sebastian angereist. Am Freitag sollte Wim kommen, der aber lieber ein Hotel am Campolongo dem Campen vorzog.

Keiner nahm mich richtig ernst, als ich eröffnete nur die kurze Strecke fahren zu können.

Nun wir werden sehen. Alles ist offen! Die letzten Tage bis Sonntag wollte ich nun meine Knie schonen.

Der folgende Tag war verregnet und kalt. Am Nachmittag holten wir unsere Startunterlagen ab. Das Trikot sah gut aus, es passte nicht aber ich konnte es sofort problemlos umtauschen.

Nun war sie da, die Anspannung. Für uns war es der erste Alpenmarathon, keiner war richtig vorbereitet, das Wetter schien unberechenbar und das Streckenprofil forderte uns jetzt schon großen Respekt ab.

Am Samstag machten Claudia und ich eine Ausfahrt mit dem Auto, während die anderen noch mal den Campolongo hinauf radelten.

Wir fuhren über den Passo Giau (oha, ist der steil) nach Cortina, tranken Kaffe und fuhren über den Falzarego wieder zurück. Wieder spielte ich im Kopf mit dem Gedanken, vielleicht doch die mittlere (110 km mit 3000 Hm) zu fahren. An die 147 km wagte ich nicht zu denken, denn dort ging es über den Giau.

Am Abend lauschten wir gespannt dem Wetterbericht. Sonne, Wolken, kühl aber trocken. Das klang gut.

 

Der große Tag 

Um fünf Uhr morgens  raus aus dem Schlafsack. Die Nacht war relativ mild mit 8 Grad. Eigentlich wollte Claudia mich mit dem Auto zum Start bringen, denn die Nacht zuvor brachte Temperaturen um den Gefrierpunkt. Also, runter mit dem Rennrad vom Autodach, mit Knielingen und Windjacke geht es ins Tal nach Stern zum Startpunkt.

Über 7000 Radler sammeln sich aus allen Himmelsrichtungen und werden in verschiedenen Startgruppen aufgeteilt.

Am Sellamassiv lockere Wolken, es weht kein Wind. Über uns kreisen Hubschrauber, filmen und werfen Rosenblätter über der Altavistagruppe (alle Frauen) ab. Wir sind in der Pinarello-, Sebi (er hatte sich später angemeldet) in der Warsteinergruppe. Neben, hinter und vor uns athletische Typen mit schicken und teuren Rennern, einer lutscht noch schnell und gekonnt ein Powergel aus und wirft die leere Packung cool auf den Boden. Respekt!

6:23 Uhr rolle ich über den "Startteppich", der mittels Transponder am Vorderrad die exakte Zeit misst. Zu meinem Erstaunen fährt auch ein Einbeiniger mit! Trotz der Massen von Radlern geht alles moderat zu, ich sehe keine Stürze oder grobe Drängeleien. Der Strom der Radler spült uns förmlich den Campolongo hoch.  Das Feld ist extrem dicht, Reinhard ist ziemlich schnell hinter uns geblieben und auch Wim ist bald nicht mehr da. An der Passhöhe verliere ich auch Jan, der die ganze Zeit ein Stück vor mir fuhr. Kurze Verpflegungs- und Pinkelpause. Gutgelaunt stürze ich mich in die Abfahrt nach Arabba. Sofort beginnt der Aufstieg zum Pordoi. Die ersten Plattfüsse neben der Strasse. Wieder lasse ich mich locker den Pass hochspülen, Pulse zwischen 145 und150. Die meisten fahren schneller als ich, ich konzentriere mich und versuche diszipliniert und gleichmäßig zu fahren, knieschonend im ersten Gang.

Der Pass liegt im Nebel, kein Grund anzuhalten außer um die Windjacke anzuziehen. Es geht auf eine kurze Abfahrt, 400 Hm hinunter bis zum Abzweig zum Sellapass. Kurz darauf die 2.Verpflegung mit Lifemusik. An den Tischen kaum Hektik wie bei hiesigen RTFs. Den Sella empfinde ich schon als etwas schwerer, aber immer noch moderat. Es geht durch viel Wald, bevor der Blick frei wird für die sagenhafte Landschaft rundherum. Sogar die Sonne scheint jetzt, lässt das Sellamassiv mit den versprengten Wolken sehr fotogen aussehen. Meinen Fotoapparat habe ich leider in der letzten Woche verloren (auf dem Autodach abgelegt und losgefahren).

Das Feld ist lichter geworden, ich fühle mich immer noch gut dank meines moderaten Tempos. Auf der folgenden Abfahrt stehen Streckenposten mit Fähnchen und mahnen zum mäßigen Tempo. Letztes Jahr ist hier ein Radler an seinen Sturzverletzungen verstorben.

Es folgt der letzte Pass der Sellarundfahrt, das Grödner Joch. Er hat den leichtesten Aufstieg von allen Pässen. Auf einem der Flachstücke die 3.Verpflegung. Ich drücke mir ein Käsebrötchen rein und ein paar leckere Schokowaffeln.

Kur vor der Passhöhe werden wir fotografiert, man soll sich die Durchgangszeit merken. Es ist 9:32 Uhr. Jan fuhr hier um 9:20 Uhr durch, erfahre ich später.

Hinab geht es auf eine lange Abfahrt nach Corvara, wieder geht’s über einen Teppich, der die Zeit misst. Für die ersten 57 km habe ich 3:28 Stunden gebraucht ( 16,5 km/h).

Keine tolle Zeit, aber ich habe mich ja auch eher zurückgehalten. Da es meinen Knien gut geht, fahre ich weiter. Die 110 km müssten jetzt drin sein.

Wieder geht’s hoch zum Campolongo, natürlich mit etwas dickeren Beinen als beim ersten Mal. Die Verpflegung nehme ich wieder mit, man kann nie wissen.

Nochmals runter nach Arabba, diesmal erheblich wärmer als am Morgen. Die Sonne scheint, auch der Wind hält sich zurück. Gutes Radfahrwetter. Es folgt ein 10 km langes Flachstück, die Beinchen können sich erholen. Dann beginnt der Anstieg zum Falzaregopass, wenig später taucht der Abzweig zur großen Strecke über den Giau auf. Ich halte an, horche in mich hinein. Ich fühle mich noch relativ gut, entscheide mich für die 110 km. Fahre los, kehre nach 100 Metern um und rolle zurück, überquere den Teppich und befinde mich auf der großen Strecke. Ich muss verrückt sein, die Höhenluft hat mich leichtsinnig gemacht....

Es geht wieder leicht bergab, dann ein kurzer Anstieg zum Colle Santa Lucia, wo wieder eine Verpflegung wartet. Die Tische sind bereits abgegrabbelt, ich mache nur die Flaschen voll.

Bin ich soweit hinten, schaffe ich das Zeitlimit, halten die Knie? Ich bin plötzlich schlecht gelaunt, befürchte mich übernommen zu haben.

Kurze Abfahrt, dann der gefürchtete Anstieg zum Giau, Durchschnittssteigung über 9 %, 10 km lang. Und schon über 2000 Hm in den Beinen.

Schon am Anfang der Steigung muckt das linke Knie, also langsamer. Jetzt wäre ein 3.Kettenblatt wünschenswert. Das Feld ist licht, vielleicht so 20 Leute auf 100 Meter.

Keiner spricht, jeder ist mit sich beschäftigt, versucht seinen Rhythmus zu finden.

Ein Radler spricht mich an, wir unterhalten uns 5 Minuten, dann lässt er mich stehen. Mehr als 7 km/h schaffe ich nicht. Das Knie schmerzt! Umkehren geht nicht. Was mache ich hier?

Alle 500 Meter kurze Pause, Knie massieren. Durchhalten! Ich schaffe es, oben ist es kalt, die Aussicht ist fantastisch. Ein schöner Pass. Aber nicht schwerer als das Penser Joch oder der Ventoux.

Ob Jan schon im Ziel ist, was machen die anderen? Ich habe keinen mehr gesehen.

Eine lange, kalte und ungemütliche Abfahrt folgt, der Asphalt ist rissig, höchste Konzentration ist angesagt. Wolken sind aufgezogen. Es sind nicht mehr als 12 Grad.

Direkt aus der Abfahrt geht's in die Steigung des Falzarego, plötzlich bekomme ich Oberschenkelkrämpfe. Die müde Muskulatur ist von der Abfahrt ausgekühlt. Das war neben Knieproblemen schon immer ein Schwachpunkt auf langen Strecken bei mir.

Nach einer Pause mit Dehnübungen geht’s wieder. Der Falzarego lässt mich fast kapitulieren, obwohl die Steigung leicht ist, versagen meine Knie nun fast völlig. Immer wieder muss ich anhalten, 'zig Radler überholen mich. Die Verkehr ist mittlerweile wieder freigegeben. Ich quäle mich auf die Passhöhe, nun noch der Valparaola, tatsächlich schieben welche. Anderen geht’s also nicht besser. Die letzte Verpflegung lasse ich rechts liegen, obwohl ich Hunger habe. Die Zeit sitzt mir im Nacken.

Auf der folgenden Abfahrt lasse ich es noch mal richtig laufen. Mit Höchstgeschwindigkeit sause ich ins Tal. Auf dem Anstieg nach Corvara kommt mir Jan entgegen. Ich sage ihm, er solle Claudia bitten, mich abzuholen.

Den Weg noch mal hoch auf 1700 Meter zum Camping schaffe ich mit den Knieschmerzen nicht mehr.

Am Ziel fahre ich dann versehentlich erst mal 100 Meter vorbei. Aber ich bleibe im Zeitlimit. 9:07 Stunden  für letztendlich 140 km, mein Tacho zeigt eine Fahrzeit von 8:20 Stunden. Obwohl ich es geschafft habe, bin ich enttäuscht. Der Trainingsaufwand, die Schmerzen. Ich könnte heulen.

Für den Transponder gibt’s gleich 10 Euro Pfandgeld zurück, die Verpflegung im Ziel lasse ich aus, ich will nur weg hier.

Ich radle nach Stern, dann kommt mir auch schon Claudia mit dem Auto entgegen. Sie kann es kaum glauben, dass ich die große Runde gefahren bin. Ich auch nicht, aber nun ist es vorbei.

Reinhard kommt 20 Minuten nach mir ins Ziel, Jan brauchte mehr als eine Stunde weniger als ich. Wim und Sebi fuhren die 110, Nadja die 57 km.

Erst als ich im Auto sitze, auf dem Weg zum Camping, durchströmt mich ein Glücksgefühl. Ich hatte meinen ersten Alpenmarathon geschafft, auch wenn es schmerzte. 

 

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